Das Leben meiner Mutter (German Edition)
wünschen! Euern Ludwig, euern Firlefanz, haha! Dem machen die eigenen Herrschaften den Garaus, haha! Nur zu wünschen, nur zu wünschen! Denk an den alten Kernaller, wenn es passiert ist, haha!« Noch ehe aber der Maxl etwas fragen konnte, war der alte Mann hinter der Haustüre verschwunden.
»Hm, jetzt so was, hm«, brummte der Maxl leicht überrascht und tappte ebenfalls nachdenklich in den Hausgang zurück. Der Kernaller hatte damals, anno 75, als alle glaubten, es komme jeden Tag Krieg, prophezeit, daß er nicht komme, daß dieser »windige Preußenschädel Bismarck auf die Finger geklopft bekommen habe« – und richtig, es war nichts mit einem Krieg gegen die Franzosen geworden. Jetzt machte er wieder so seltsame Andeutungen über den König. Sonderbar!
Im Dorf wurde getuschelt, daß im Schloß drunten Gitter vor den Fenstern der königlichen Gemächer angeschraubt worden wären. Der Schmied Leibfinger war eines Tages von einem Herrn geholt worden und hatte verschiedene Türklinken abmachen müssen. »Und in die schönen, weißlackierten Türen haben sie Löcher gebohrt«, erzählte der Schmied kopfschüttelnd und dämpfte seine Stimme, »aber um Gottes willen, Maxl, verrat mich nicht! Es ist mir auf’bunden worden, daß ich kein Sterbenswort sag’ …«
Der Irlinger, der am Anfang der Pfingstwoche den Maxl besuchte, redete allen Ernstes von einer bevorstehenden »Revolution« und berichtete, daß eine königliche Kommission, die aber gar nicht vom König, sondern von den Ministern und Prinzen ernannt worden sei, in Neuschwanstein gewesen und dort von den Bauern der Umgegend totgeschlagen worden sei.
»Sie wollen ihn einfach absetzen, unseren Ludwig! Eine Schand’! Aber da, glaub’ ich, verrechnen sich die Herren, da geht das ganze Bayernvolk los«, schimpfte der Mehlreisende, aber, meinte er des weiteren, es sei schon wieder eine Kommission nach Neuschwanstein gereist, und was jetzt mit dem armen König passiert, das wisse kein ehrlicher Mensch.
»Absetzen?! Absetzen – den König?!« rief der Maxl bestürzt. Der Gedanke war unfaßlich. Einen König absetzen, das war doch einfach unmöglich, das hatte es doch noch nie gegeben! Das stand höchstens in den Geschichtsbüchern aus früheren, halb barbarischen Zeiten! Aber heute? Jetzt? Im eigenen Land?
»Ah! Was du schon für Räubergeschichten dahererzählst!« meinte der Maxl wiederum und musterte den Irlinger ungläubig. Der aber blieb ganz ernsthaft. Daß vielleicht beim König manches recht sonderbar sei, gab er zu, das sei doch nicht zu bezweifeln. Und er verwies auf dessen unglücklichen Bruder Otto. Der war doch auch vor etlichen vier Jahren auf einmal, inmitten einer kirchlichen Feier, wahnsinnig geworden. Jeder Mensch wisse, daß man den kranken Prinzen im Schloß Nymphenburg unter strengster Bewachung interniert halte.
Ja, davon hatte der Maxl auch schon gehört. Er wurde nachdenklich. Eine Weile schwieg er.
»Hm, und was passiert denn nachher? Haben sie denn schon einen neuen König?« fragte er schließlich geradewegs.
»Das weiß kein Mensch«, erwiderte der Irlinger und fuhr fort: »Der kleine Mann hat doch noch nie was erfahren, was die da droben bei Hof im Sinn haben. Aber ich sag’ dir eins, Maxl, ich fürcht’, das wird nicht gut abgehen. Unsern König …« Er kam nicht weiter. Draußen vor den Fenstern, von der Dorfstraße her, wurde ein vielfaches, flinkes Klappern vernehmbar. Maxl und Irlinger hoben den Kopf und schauten durch die angelaufenen Scheiben. Eine Abteilung Chevaulegers ritt vorüber. Die Pferde griffen weit aus, der Dreck spritzte, die Reiter troffen vor Nässe. Schnell verschwanden sie, als sie den abfallenden Berg erreicht hatten, über welchen die Dorfstraße zum See-Ufer hinablief. Einige Berger standen staunend vor der Haustüre.
»Hm, was ist denn das? Was soll denn das bedeuten?« fragte der Maxl endlich, und der Irlinger sagte: »Weiß der Teufel! Jetzt aber glaubst du, daß ich nicht geflunkert hab’!«
»Ich kann und kann’s nicht verstehen!« schloß der Maxl und schaute ins Leere. Bald darauf ging der Irlinger.
Drunten im Schloßhof, dessen Tor rasch zugezogen wurde, hatten sich die eben angekommene Reiterei und verstärkte Gendarmerieabteilungen eingefunden. Fremde Wachen marschierten vor der Schloßmauer auf und ab, mit verschlossenen Mienen. Barsch trieben sie jeden stehenbleibenden Neugierigen weiter. Zum Müller, vor dessen Tür die ganze Familie stand, schrie einer hinüber: »Ins Haus
Weitere Kostenlose Bücher