Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Bauch. Die Mutter schüttelte bekümmert den Kopf. Sie ging ins Bett und konnte lange nicht einschlafen.
Sie machte es wie immer. Erst viel später erfuhren wir es. Sie stand früher auf, besorgte eilig alle ersten Arbeiten und ging zur Frühmesse nach Aufkirchen. Hernach kam sie zum Pfarrer Jost in die Sakristei und bestellte eine Messe, und zwar eine einzige – weil das billiger kam – gleich für drei Dinge, die der Herrgott ins rechte Gleis bringen sollte. Zum ersten sollte er den armen Schuster von seiner unheimlichen Krankheit befreien, zum zweiten wünschte sie, daß es mit der Kuh kein Unglück gebe, und zum dritten endlich, daß der Maxl beim Militär nicht verdorben werde. Viel beruhigter kam sie heim.
In der darauffolgenden Nacht kalbte die Kuh wirklich. Alles verlief gut, und es läßt sich denken, wie glücklich unsere Mutter war. Gott hatte sie erhört – zunächst wenigstens in diesem einen Fall! Sie war derart freudig erregt, als das ringelhaarige, noch schleimige Kalb im frischen Stroh lag, daß alle staunten.
»So hab’ ich dich doch noch nie gesehn, Resl!« sagte der Vater lachend und spöttelte: »Du gehst ja um mit dem Kalb, als wie wennst du es selber auf die Welt bracht hätt’st!« Und da – sie tat es verlegen und fast beschämt – da sagte sie arglos: »Jaja, du glaubst ja nichts! Du lachst mich ja doch bloß immer aus, aber diesmal hat meine Mess’ doch geholfen! … Ich hab’ ja so viel Angst gehabt, daß es schief geht.« Sie richtete sich auf und atmete befreit. Ein frisches, mädchenschüchternes Rot überhuschte ihr zerarbeitetes Gesicht wie schon lange, lange nicht mehr.
»Jaja, selig, wer so glaubt wie du!« meinte der Vater ironisch und neckte sie. »Aber oft ist der Segen vom Herrgott recht wetterwendisch.« Unsere Mutter nahm’s nicht weiter übel.
»Ah, du!« rief sie ebenso. »Wenn du nur immer spotten kannst.«Wir alle freuten uns mit ihr. Dieses Kalb, bedrängten Anna und ich den Vater, das dürfe er aber nicht dem Metzger geben. Er versprach’s, aber gehalten wurden solche flüchtigen Versprechungen nie. Wir verwanden aber auch das leicht. –
Im Sommer, an den strahlenden Sonntagen, wenn die Leute aus allen vier Himmelsrichtungen dem hochgelegenen Pfarrdorf Aufkirchen zuströmten, um dort das feierliche Hochamt zu besuchen, da war auch unser Vater stets dabei. Es sah aus, als sei er ein durchaus pflichttreuer Katholik. Indessen, er war nur stolz auf seine beiden hübschen Töchter Theres und Emma. Sie stachen in ihren städtischen Kleidern heraus aus der bäuerlichen Menge, und das tat ihm wohl. Das schmeichelte ihm. Er war gewiß nicht eitel, aber die Leute, die ihm solange den Respekt versagt hatten und ihm das Errungene auch jetzt noch neideten, sie sollten sehen und spüren, daß an seiner Wohlhäbigkeit nicht mehr zu rütteln war und daß die Grafs Menschen seien, die sich überall sehen lassen konnten. Freilich, er ließ nie etwas davon verlauten. Er war sogar ein merkwürdig schamhafter Mensch, der seine wahren Gefühle stets ängstlich verbarg. Lieber wollte er als Grobian oder Spötter erscheinen, denn als aufdringlicher Protz oder gar als Weichling. Er hing an uns Kindern, und er liebte die Mutter, die ihm soviel geholfen hatte, auf seine besondere Art. Allem Lob anderer mißtraute er, aber wenn er einmal zu unserer Mutter sagte: »Geh, Resl, jetzt gib doch einmal eine Ruh! … Plag dich doch nicht so!« dann sagte das alles, was er im Herzen hatte.
In solchen guten Zeiten ging er öfter zur Kathl ins kleine Häusl und unterhielt sich mit ihr. Er schätzte sie als die geweckteste und gescheiteste von all seinen Geschwistern. Sie war arm, und die Näherei ernährte sie kaum, aber sie klagte nie darüber. Dazu war sie zu stolz. Sie schimpfte höchstenfalls über ihre Tochter Marie und deren Mann, den Roßkopf. Und sie war, genau wie unser Vater, unbeirrbar eigensinnig, was zur Folge hatte, daß die beiden öfter in Streit kamen. Dann waren sie wieder wochenlang miteinander verfeindet, wenngleich sie das eigentlich schwer vertrugen. Denn mit der Kathl konnte man über vieles reden, und das zog unseren Vater an. Jetzt aber hatten sie sich wieder einmal ausgesöhnt.
»Kathl«, sagte der Vater gutgelaunt und schaute interessiert auf die Modehefte, die bei ihr herumlagen, »mach meiner Resl ein neues, schönes Gewand … Es darf was kosten! Genier dich nur nicht!« Er hatte insgeheim für unsere Mutter in Starnberg einen teuren Stoff gekauft.
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