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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Staubwolken auf. Nicht minder häßlich, ja, fast gefährlich sahen ihre Insassen aus. Die Männer hatten ihre Mützen tief ins Gesicht gezogen, den Kragen des weiten Staubmantels hochgeschlagen, und die Frauen mit ihren riesengroßen Hüten waren in dichte, meist weiße Schleier gehüllt. Sie trugen dunkle Brillen, was das gespenstische Aussehen noch steigerte. Kein Wunder, daß wir einem solchen Gefährt weit auswichen und es von der Ferne ängstlich und feindselig verfolgten. Und wie es den Menschen ging, so erging es auch den meisten Pferden. Unser Rappi fing beim Herannahen eines Autos nervös zu schlottern an, blähte schnaubend die Nüstern, und wenn das ohrenbetäubende Surren vorüberbrauste, konnte ihn niemand mehr halten. Zweimal schon war dabei der Brotwagen von der Theres umgekippt. Es gab einigen Schaden, doch es ging noch halbwegs glimpflich ab. Seither mußte im Augenblick der Gefahr der jeweilige Fahrer abspringen, den Rappi vorne am Gebiß halten und ihm mit einer Hand die Augen zudecken. Dazu aber gehörte vor allem viel Kraft, Mut und Geschicklichkeit.
    Wie gewöhnlich fuhr unser Vater in der Woche einmal zur Bahnstation nach Starnberg, um die von München eingetroffenen Kolonialwaren für unseren Laden abzuholen. Bevor man nach Starnberg hineinkam, mußte eine hohe, breite Brücke, die den kleinen Fluß, die Würm, überspannte, passiert werden. Die hohe Böschung rechts und links von der Brücke fiel ziemlich steil ab. Drunten das Flußufer war sumpfig.
    Es war ein drückend heißer Sommertag. Alles arbeitete auf den Feldern. Es wurde langsam Abend. Mutter, Theres und Emma kamen eben vom Heuwenden heim und wunderten sich, daß der Vater immer noch nicht da war. Auch wir warteten gierig auf unsere Würste. Mutter ging besorgt in den Stall und fing zu melken an. Nach einiger Zeit hörte sie endlich ein Wagenrollen. In scharfem Trab fuhr der Wiesmaier vor die offene Stalltüre.
    »Bäckin!« schrie er und stockte, »Bäckin! … Ich hab’ den Rappi! Er hat wieder gescheut. Das ganze Fuhrwerk ist kaputt und steckt im Schlamm unter der Würmbruck’n!« Er brach ab. Unsere Mutter sprang auf und lief heraus!
    »Jaja, um Gottes willen! Und wo ist denn der Max?« brachte sie nach dem ersten Schrecken heraus. An Wiesmaiers Wagen war der Rappi gebunden. Die abgerissene Deichsel hing noch an ihm, das Pferd war bis zum Bauch voll Schlamm und seine schlanken Fesseln bluteten. Die Kisten und Säcke hatte der Wirt aufgeladen. Arg viel Mühe habe es gekostet, meinte der Wiesmaier.
    »Ja, aber der Max?« bestürmte ihn unsere Mutter, und wir kamen auch schon dahergelaufen.
    »Der?« zögerte der Wirt, »der liegt im Krankenhaus! … Das Roß ist samt dem Wagen über die Böschung hinunter … Den Maxl hat’s arg erwischt!«
    »Was? … Tot?« schrien wir alle zugleich entsetzt auf.
    »Tot? … Ich glaub’s nicht! Er hat sich noch gerührt«, meinte der Wirt und band den Rappi von seinem Wagen. Wir weinten und klagten fassungslos. Die Theres führte den Gaul in den Stall und schirrte ihn ab. Der Wiesmaier warf die Kisten und Säcke herab und schrie: »Steig auf, Bäckin! Ich fahr’ dich ’num ins Krankenhaus!« So, wie sie war, schwang sich unsere Mutter auf den Wagen, und sie jagten davon. Wir wußten nichts anderes zu tun und machten uns alle auf den Weg nach Starnberg.
    »Er ist tot! … Nein! Nein! Er ist nicht tot!« plapperten wir unausgesetzt vor uns hin. »Er ist nicht tot, nein! Neinnein, tot ist er nicht!« Und ängstlich schauten wir dabei herum, ob nicht ein Hase, eine Katze über den Weg laufe oder ein Rabe auf die vollen Apfelbäume, die die Straße säumten, niederfliege, denn das bedeutete Unglück. Es begegnete uns aber nur der Kaminkehrer, und das hieß Glück.
    »Er lebt noch! Er stirbt nicht!« riefen wir überwältigt und gingen schneller. Als wir nach fast einer halben Stunde das sogenannte Starnberger Holz durchschritten hatten, entdeckten wir in der Ferne den zurückkommenden Wiesmaier-Wagen und fingen zu laufen an. Langsam fuhr der Wirt daher. Unsere Mutter saß drauf, mit gesenktem Kopf, ihren Arm hatte sie um die Schultern des Vaters geschlungen, daneben saß der Wirt. Dick und weiß verbunden war der Kopf unseres Vaters. Als wir herankamen, hörten wir ihn aber schon wieder fluchen und schimpfen und atmeten erleichtert auf.
    »Vater! Vater? Was ist’s denn? … Lebst noch?« schrien wir plärrend.
    »Jaja, aber bald wär’s dahin’gangen! Gehts nur heim! … Die

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