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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Er wollte sie mit dieser Freude überraschen.
    »Da, das gefällt mir!« sagte er, wieder auf ein Modenbild blickend. »Die Resl soll wissen, daß sie eine Bäckermeisterin ist.« Die Kathl schaute die Abbildung an und fand, daß ein solches Kleid unserer Mutter nicht passe. Sie blätterte, zeigte ein anderes und wandte sich an die dabeisitzende Emma: »Da, das ist das richtige! … Sagst du es nicht auch, Emmerl?« Emma stimmte zu. Doch der Vater gab nicht so leicht nach. »Ein Weibsbild kann sich nicht anziehen. Ihr wißt alle nicht, was einem Mannsbild gefällt«, eiferte er keck. »Bloß der Mann weiß, warum und wie ein Weibsbild anspricht.« Die Meinungen gingen lange hin und her, und es wurde meist ein großer Disput daraus. Der Vater hatte einen eigenen Sinn für solide, bürgerliche Pracht. Man einigte sich endlich, nachdem man, weil die gute Laune mitsprach, beiderseits Zugeständnisse gemacht hatte.
    »Du brauchst nicht sparen, Kathl! … Ich zahl’s schon, aber es muß nach was aussehen, verstehst du?« sagte der Vater zu seiner Schwester. Er wußte nur zu gut, wie notwendig sie Geld brauchte. Er wollte sie was verdienen lassen, denn mitleidige Geschenke beleidigten sie.
    Immer wieder kam er in das Häusl. Die Mutter wunderte sich, aber sie war froh, daß sich die zwei Geschwister wieder gut vertrugen. Endlich, als das Kleid fertig war, sagte der Vater ein bißchen schämig zur Mutter: »Jetzt geh einmal mit, Resl! … Ich hab’ dir was Schönes machen lassen.« Die Theres und wir anderen Kinder folgten. Mutter dagegen brummte, sie habe doch noch »pfenniggute« Kleider genug, und sie sei doch nicht mehr in den »übermütigen Jahren«. Das überhörte der Vater.
    So ein Kleid war unserer Mutter niemals recht. Sie hing am Ländlichen, am Glatten und Einfachen.
    »Geh!« fing sie zu nörgeln an, »geh, so was von Fluderzeug! Geh! Das geht doch nicht!« Die Rüschen und zierlichen Borten fand sie sündhaft. Fortwährend strich sie über ihre Brust und drückte sie platt. Kathl, Theres und Emma redeten ermunternd auf sie ein, daß das doch schön sei und ihr gut zu Gesicht stehe. Der Vater wurde leicht ärgerlich.
    »Naja, in Gottes Namen … Jaja, die Leut’ werden mich schön auslachen«, ergab sich unsere Mutter endlich, aber – als sie das Kleid bei irgendeiner festlichen Gelegenheit wirklich anzog, waren alle Rüschen und Borten abgetrennt. Es sah alles auf einmal wieder so halbfertig und nackt aus, wie wir es auf der Probierpuppe der Kathl gesehen hatten. Der Vater schimpfte und wurde verdrossen. »Ich mein’ dir’s doch gut, Resl! Du brauchst dir ja nicht zu gefallen! Ich und die Leut’ schauen dich doch an!« sagte er, doch sie blieb unnachgiebig. Es war, als dränge ihr unverrückbar harter bäuerlicher Sinn, der nur Arbeit und Zweck kannte, in solchen Augenblicken ganz aus ihr hervor.
    Und es war Samstag. Es war eine dunkle Nacht. Längst war wieder der Winter mit viel Schnee hereingebrochen. Meterhoch überweht lagen die Straßen und Flächen. Eine grimmige Kälte herrschte.
    In der warmen, hellerleuchteten Nähstube der Kathl ging es sehr lebhaft zu. Wir alle saßen teils auf dem Boden, teils auf den Stühlen in gedrängtem Kreis um unsere ältere Schwester Theres, die in einem ausgeschnittenen blaßblauen Ballkleid in der Mitte stand. Eifrig zupfte und steckte die Kathl an ihr herum, zog da einen Faden heraus und machte dort noch einen flinken Nadelstich. Die Emma hatte Spiegel und Kamm in der Hand und richtete der Theres die Lokkenfrisur.
    Wie schön ist doch ein aufgeblühtes, festlich geschmücktes Mädchen, wenn es zum erstenmal voll Neugier und pochender Erwartung auf den Ball geht.
    »Ah! Ahah … Ahah!« stießen wir immer wieder bewundernd heraus und konnten unsere Begeisterung kaum mehr bezähmen. Wir schauten auf die strahlende, bezaubernde Erscheinung und konnten zuweilen gar nicht mehr fassen, daß dies unsere Schwester Theres sei. Dabei entging uns nichts. Wir sahen die etwas fettig glänzenden, ungewohnt gelockten Haare, die sich seltsam verschnörkelt in der Kopfmitte als hoher, dichter Knoten emportürmten. Im gelben Licht schienen das eigensinnige Gesicht mit der etwas eckigen Stirne, der glatte runde Hals und der zart gewölbte Brustansatz frauenhaft bleich, wodurch das heftige Rot der Wangen nur um so stärker zur Geltung kam. Die ganz kurzen, reichgeplusterten Ärmel saßen zierlich an der Schulter und ließen Theres viel breiter erscheinen, als sie in

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