Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Wirklichkeit war. Fest schmiegte sich die glänzende Taftseide an die knospige Brust. Die starke Schnürung gab der ausladenden Hüftlinie eine kokette Form, und sehr faltenreich fiel der weite Rock bis zur Erde.
»So machts doch endlich! Machts!« rief Theres ungeduldig. Der Eugen, der aus München gekommen war, trat in die Nähstube. Der Vater schrie auf dem Hof.
Die Mutter in ihrer altbayrischen, bäuerlichen, reich mit Silberschnüren verzierten Tracht kam daher, schaute lächelnd auf Theres und trieb ebenfalls zur Abfahrt.
Die Kathl und Emma hantierten immer eiliger. Wir umschnüffelten die Theres gleichsam und wollten uns nicht losreißen von all dieser Pracht.
»Da, du mußt doch auch gut riechen!« rief Emma und schüttete Veilchenwasser auf ihre Hand, womit sie Theres Hals und Brustansatz bestrich. Endlich, endlich gab der Eugen den dicken, schweren Mantel her, Theres hüllte sich behutsam damit ein und ging, gefolgt von uns allen, in den dunklen, schneeigen Hof, wo der Vater schon auf dem Schlitten saß und den scharrenden Grauschimmel zügelte. Die zwei Schlittenlaternen blinkten, die Glöckchen am Pferdegeschirr bimmelten dünn, der Gaul griff aus, Schnee wirbelte auf, wir liefen schreiend mit, aber bald verschwand der dahinsausende Schlitten in der Dunkelheit.
Wir konnten lange nicht einschlafen und sprachen in einem fort von der Theres, die sicher heute nacht Ballkönigin werden würde. In der Frühe, als uns Mutter weckte, hatte sie ein verweintes Gesicht. Erschrocken fragten wir.
»Der Schimmel ist gerutscht und hat sich auf’m Eis den Fuß abgerissen. Ist schon erstochen!« sagte sie. Tieftraurig sprangen wir aus den Betten und liefen in die Kuchl hinunter. Mit übernächtigem Gesicht saß der Vater da, schüttelte den Kopf und rief zerknirscht: »Das ist der ganze Ball nicht wert gewesen, samt dem, daß die Resl Ballkönigin worden ist!« Wir hörten es, aber es verflog gleich wieder. Wir weinten um den toten Grauschimmel, denn jedes Stück und jedes Tier im Haus gehörte ganz tief und untrennbar zu uns.
»Hmhm, bei dem Glatteis von der Rottmannshöh’ herunter, da hat ja was schief gehn müssen! … Der schöne Schimmel!« klagte der Vater und bekam sogar nasse Augen. Er schaute auf den Eugen, der auch nicht zu Bett gegangen war und ernst dahockte. Nur die Theres schlief, obgleich sie doch das Brot ausfahren sollte. Der Eugen ging schließlich zum Schatzl, lieh einen Gaul und tat es für sie. Daß er – der feine Herr – so wenig Stolz zeigte, freute den Vater. Als der Eugen am Abend dieses traurigen Sonntags in die Stadt fuhr, sagte er zu ihm: »Du bist ein richtiger Mensch, Eugen! Du hast einen Geschäftsgeist und verlierst den Kopf nicht gleich, wenn auch einmal was schlecht ausschaut.«
Lange herrschte eine tiefe Niedergeschlagenheit im Haus. Unsere Mutter hatte beständig Angst, der Theres könnte mit dem geliehenen Gaul etwas passieren. Verschiedene Händler kamen und boten Pferde an, doch der Vater traute keinem. Er war gereizt, fertigte sie grob ab und schimpfte bei der geringsten Kleinigkeit. Endlich nach vierzehn Tagen fuhr er mit dem Schatzl zum Wolfratshausener Pferdemarkt, und am anderen Tag stand ein lebhafter, sehniger, kohlschwarzer Gaul in unserem Stand. Wir musterten ihn vorsichtig wie etwas ganz Fremdes. Er hatte viel Geld gekostet. »Sechshundertfünfzig Mark! Mein Gott!« seufzte die Mutter. »Es will bei uns einfach nicht abreißen! Und jetzt im Winter, wo so wenig Geld eingeht! Mein Gott, mein Gott!«
Der Vater dachte gewiß ebenso, aber er sagte nichts. Als er aus dem Stall war, besprenkelte Mutter heimlich den Stand und den Gaul mit Weihwasser. Mit leichtem Gewieher trippelte das Pferd dabei hin und her …
Abschied vom Vater
Weil gerade von Pferden die Rede war – die mochte unser Vater gern. Er verstand auch viel davon. Da konnte ihn keiner so leicht betrügen. Und der neue Gaul, der »Rappi«, wie wir ihn nannten, gewann alsbald unser aller Herz. Mit der Zeit vergötterten wir ihn geradezu. Sein kohlschwarzes Fell glänzte spiegelglatt. Er war jung und schön, schlank und rassig, zog trotzdem gut und lief wie der Wind. Freilich, er hatte auch eine böse Untugend, die aber niemand vorausahnen konnte.
Damals nämlich tauchten in unserer Gegend die ersten noch ziemlich ungeschlachten Automobile auf. Sie wälzten sich daher wie polternde Ungeheuer, fuhren mit laut klopfendem Surren auf den Straßen dahin, stanken nach Benzin und wirbelten dicke
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