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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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vorüber, kam in unsere Kuchl und verabschiedete sich rasch und einsilbig. Niemand bat sie, zu bleiben.
    »Hm, die arme Kathl«, meinte unsere Base, »früher ist doch die Marie ein ganz ordentliches Ding gewesen? Sie muß auch nicht den besten Mann haben …«
    »Mein Gott, weiß man denn, wie sich die Kinder einmal auswachsen?« seufzte unsere Mutter und schaute halb traurig, halb nachdenklich auf uns, »wenn ich an die meinen denk’, die werden alle wie der Max. Genau so eigensinnig sind sie … Eins mag das andere nicht. In einem fort streiten sie.«
    »Das ist gar nicht wahr, Mutter … Wir zwei sind doch gut, die Nanndl und ich«, rief ich einfältig und legte meinen Arm um die Schulter meiner jüngeren Schwester Anna. Unsere Mutter und die Base lachten leicht.
    Gutmütig schauten sie auf uns.
    »Solang s’ so klein sind, geht’s ja noch, aber die größeren! … Ewig hat man Verdruß«, meinte unsere Mutter. Theres, Emma, Maurus und Lenz hörten unangerührt zu. Eigentlich sagte das unsere Mutter ja immer. Keiner nahm es allzu ernst.
    »Tja«, sagte die Hintermaierin wieder, »so ist’s halt schon auf der Welt, Resl! … Die Alten passen nicht mehr recht her, und die Jungen haben ihren eigenen Kopf … Unser Herrgott wird’s schon wissen.« Stoisch und arglos klang es. So, als sei das nun einmal das ewige Los aller Mütter. Sie schauten geruhig drein und kauten dabei ihre Schmalznudeln. Sie hatten einander gern, die zwei Schwestern. Und immer, wenn sie zusammenkamen, redeten sie in ähnlicher Weise. Es war eigentlich kein mürrisches Klagen, es war mehr ein Sichabfinden, und wenn sie miteinander so redeten, schien ihnen leichter zu werden. Auf diese Art vergingen ihre Feiertage. –
    Die Regenwochen hatten schon eingesetzt. Einmal in der Frühe kamen wir Schulkinder die Stiege herunter und sahen im Hausgang ein dreckverkrustetes Fahrrad stehen. An der Lenkstange war ein kleiner, schon verwelkter Blumenstrauß. Wir rannten in die Kuchl und fragten gleicherzeit: »Ist der Maxl da, Mutter?«
    »Ja, droben schlaft er … Gehts weiter, spät ist’s schon!« antwortete die, und der Vater lachte selig. Leise schlichen wir mit der Mutter nach oben. Sie öffnete behutsam die Türe der »guten Kammer«. In den tiefen, geblähten Kissen sahen wir den strudelhaarigen Kopf unseres ältesten Bruders. In seinem braungebrannten Gesicht war schon ein dünner Bart. Vorsichtig schlichen wir wieder aus der Kammer. In der Kuchl sagte der Vater: »Jaja, der wird euch allerhand erzählen. In vierzehn Tag muß er einrücken.« Das stimmte uns ein wenig traurig. In der Schule waren wir unaufmerksam, und am liebsten hätten wir immerzu prahlerisch herausgeragt: »Unser Maxl ist wieder da. Der hat die ganze Welt gesehen.« Wir waren stolz darauf. Die Stunden kamen uns unendlich lang vor, wir malten uns allerhand Phantastisches aus und waren sehr gespannt auf den Maxl. Der aber behandelte uns, als wir heimgekommen waren, ziemlich von oben herab und etwas wegwerfend. Nur abends unterhielt er sich mit Vater und Mutter, doch Abenteuerliches kam in seinen Erzählungen gar nichts vor. Er verglich meistens unseren Ofen und unsere Backstube mit denjenigen der Wormser Bäckerei, wo er zuletzt gearbeitet hatte, und gebrauchte dabei nüchterne Fachausdrücke. Sogar die älteren Geschwister beachtete er nicht sonderlich. Mitunter zeigte er sich hämisch, als wollte er merken lassen, was sie für dumme Dorfmenschen seien gegen ihn, den Weitgereisten. Manchmal fuhr er allein mit dem Rad in andere Dörfer oder ging mit dem Vater in die Wirtshäuser. Dort schien er viel mehr zu erzählen und zeigte sich auch lustig. Er kaufte sich einen neuen Anzug, einen neuen Koffer und viele Dinge, die er allem Anschein nach beim Militär zu brauchen glaubte. Am Tage seiner Ausmusterung zum Militär kam er mit den anderen, gleichaltrigen Burschen laut krakeelend von Unterberg herauf. Jeder war übermütig und hatte schon einen leichten Rausch. Jeder trug ein dünnes Spazierstöckchen, das mit bunten Bändern in den bayerischen Landesfarben umwunden war. An der Brust eines jeden prangte irgendein Abzeichen, darauf stand entweder »Infanterie«, »Kavallerie« oder »Pionier«. Der laute Haufen sprang unausgesetzt herum, juchzte, fuchtelte, stampfte wie wild und schrie wie besessen. Sie rempelten die alten Leute an und griffen jede Dorfschöne, die vorüberkam, zudringlich ab. Immer wieder blieben sie stehen und grölten irgendein patriotisches

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