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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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schwermütig saß er oft stundenlang auf dem Kanapee. Mitunter, wenn er die Zeitung flüchtig gelesen hatte, versuchte er, mit der Mutter zu sprechen. Doch sie verstand all diese Ereignisse nicht. Er gab die Unterhaltung bald auf. In seinen Zügen konnte man lesen, daß ihm das weh tat. Er war erst neunundfünfzig Jahre alt, und das Leben hatte ihn arg zerzaust. »Er ist wie ein Motor … Man meint oft, er verbrennt an sich selber«, hatten manche Leute über ihn gesagt. Das schien nun vorüber. Der erzwungene Stillstand zwang ihn zum Nachdenken. Vergangenes fiel ihm ein, das Gegenwärtige beschäftigte ihn, und unruhig dachte er in die Zukunft hinein. Nie aber kam ihm in den Sinn, daß dies einmal plötzlich aufhören könnte. Weitsichtige Pläne wucherten in ihm. Er sah Familie und Haus, das Dorf und die Welt. Aussprechen wollte er sich mit wem, doch er fühlte sich, wenn er mit der Mutter allein war, einsam.
    Er war weder Bauer, noch war er ausschließlich Geschäftsmann. Er war im Guten und im Bösen ein selbstbewußter, stolzer Bürger der Bismarckzeit, männlich und starrsinnig, aber doch weltoffen und grundsolid. Der unechte, geräuschvolle Prunk des wilhelminischen Kaisertums mißfiel ihm tief. Das alles war für ihn nicht mühevoll erarbeitet und erkämpft. Es war einfach von den Alten, die den festen Grund gelegt hatten, als etwas Selbstverständliches übernommen und unsinnig übersteigert worden. Als ein rebellischer, liberaler Patriot sagte unser Vater: »Nein, der Bülow ist kein Bismarck! Er läßt sich schon so oft photographieren, da graust mir schon … Geh zu! Ein ganz geschniegelter Speichellecker ist er, der gut reden kann, weiter nichts! Er tanzt, wie der radausüchtige Kaiser pfeift. Das ist ungesund … Jetzt hat er im Reichstag gesagt: ›Deutschland in der Welt voran!‹ … Geh mir zu mit der Protzerei! … Die andern sind auch noch da … Sie machen nicht einen solchen Lärm und sind vielleicht weiter wie wir!« Viele dachten so. Der eitle Kanzler Bernhard von Bülow in Berlin, der sich so gerne als vollendeter Weltmann gab und viel von sich reden machte, war der erklärte Liebling des Kaisers. Aber er gebot dem drohenden, kriegerischen Redeschwall des Monarchen keinen Einhalt. Er war oft selbst nur das willfährige Sprachrohr seines lauten Herrn. Im Lande selber und ganz besonders in Bayern nahm man ja die Kaiserreden nicht allzu ernst, aber das Ausland wurde verstimmt. Noch dazu, da es nicht beim Reden blieb.
    Durch die wilde Aufrüstung des deutschen Landheeres sah sich Frankreich gezwungen, die zweijährige Militärdienstzeit einzuführen. Das Flottenbauprogramm der Berliner Regierung beunruhigte die Engländer empfindlich. Sie bauten ihre »Dreadnoughts«, nachdem sie öftere Male mit Deutschland einen Ausgleich versucht hatten.
    Unser Vater verglich, wenn irgendein Nachbar zufällig einmal in unserer Kuchl saß, das blühende Deutsche Reich stets mit unserem Geschäft und meinte: »Das Auftrumpfen und Besserwissen, wenn’s gar so aufdringlich gezeigt wird, das bringt bloß Schaden … Es macht schnell Feindschaften und geht auch der Kundschaft auf die Nerven … Wir leben doch nicht allein auf der Welt.« Der Wagner Neuner stimmte zu.
    »Jaja, Bäck«, sagte er in seiner langsamen Art, »Du siehst es richtig, die Sach’ … Dir hört man gern zu.« Der Vater lächelte müd und meinte: »Loben kann ich mich selber.« Der Neuner nahm es nicht übel. Man kam in eine belebtere Unterhaltung über die politischen Ereignisse. Endlich ging der Neuner. Der Vater versank wieder in seinen Gram.
    Er schloß sich jetzt, nachdem der Maxl den Gekränkten spielte, wieder dem Eugen an, der fast jeden Samstag oder Sonntag nach Hause kam. Die beiden verstanden sich von Woche zu Woche besser. Eugen war einnehmend und überall beliebt. Die Wirte wurden bald Kunden der Brauerei Starnberg. Das Bier vom Baron von Hirsch war nicht mehr begehrt. So hatte unser Vater, in dem noch immer der Groll nagte, wenigstens in dieser Hinsicht eine kleine Genugtuung. Und dann – auch in Starnberg achteten die besseren Leute den Eugen wegen seiner Tüchtigkeit und seines sicheren Auftretens. Sein Urteil galt etwas. Sicher erwog man in mancher besseren Bürgersfamilie, ob der Herr Buchhalter nicht eine geeignete Partie für die Tochter sei. Der Vater roch das, wenn er zufällig mit Starnbergern zusammenkam. Sein Vertrauen zu Eugen wuchs sich zum verborgenen Stolz aus. Es war auch gut so, denn niemand konnte so

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