Das Leben meiner Mutter (German Edition)
umbracht worden … Der Tilly hat nachher gegen das Heer vom Wallenstein Krieg geführt … Bloß wegen dem lumpigen Holz haben sie ihre Schlachten geführt.«
»Bloß wegen dem Holz?« fragte ich enttäuscht und verblüfft zugleich. Ich hatte es doch ganz anders gelernt.
»Ja, bloß wegen dem lumpigen Holz«, nickte der Vater, »und bei den Buren? Um was ist’s da gangen? Um die Diamanten!« Ich verlor meine erste Illusion. Plump erkannte ich auf einmal, daß hinter den vielgerühmten Kriegen nur gierige Besitzinteressen irgendwelcher Herren standen. Ich fragte und fragte den Vater viel in diesen Nächten, und mein kindlicher Eifer freute ihn. Im Herd verglomm das Feuer. Es war ganz still im Haus. Der Vater ließ sich von mir eine Geschichte erzählen, die ich eben gelesen hatte. Dann fing er an, sie mir auf seine Art zu erklären. Er vermengte seine Erklärungen meist mit einer Moral, die sich auf unsere Bäckerei, auf seinen Kampf und seine Person bezog. Zum Schluß sagte er manchmal fast pathetisch: »Merk dir das, Bub! … Heut haben wir den 4. November! Im nächsten Jahr um dieselbe Zeit erinnerst du mich dran.« Ich hielt es auch getreulich inne, aber da hatte der Vater meist schon längst alles vergessen und wurde sogar ärgerlich, wenn ich in ihn drang.
»Ah, dummer Kerl, dummer!« fuhr er mich an, »red doch keinen solchen Stiefel!« Offenbar wollte er von seinen pathetischen Predigten nichts mehr wissen und schämte sich ihrer. Ich war betroffen und verstand das alles nicht. –
Der Maxl schrieb einmal, »das Vaterland sei in Gefahr«, und er könnte jetzt rasch eine schöne militärische Karriere machen, wenn er sich als Freiwilliger zur Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwest-Afrika melden würde. Das verstimmte den Vater. Gewiß, der Militärdienst war für ihn eine gute Schulung zur Heranziehung ernster Männer, und wenn eben Krieg sein mußte, gut, aber dann zwischen gleichstarken Gegnern! »Aber was haben uns denn eigentlich die Wilden getan? Die gehn uns doch nichts an! Die kann man leicht wegschießen, wenn sie bloß ihre Spieß’ und Bogen haben … Geh! … Das ist ja noch ein ärgerer Schwindel wie der mit den Buren!« schimpfte er, und es wollte ihm durchaus nicht in den Kopf gehen, wieso die Hereros eine »Gefahr für das Vaterland« sein sollten. Kamen sie denn etwa über das Meer, um ins Land zu fallen?
»Der Bismarck hat schon recht gehabt … Der ist sein Lebtag gegen diese Spinnereien mit den Kolonien gewesen!« murrte er weiter, und schließlich schrieb er dem Maxl einen wütenden Brief, ob er vielleicht glaube, er könne sein Leben lang auf Geschäftskosten »Soldat spielen«. Zu was habe denn er – der Vater – eigentlich Haus und Bäckerei in die Höhe gebracht, wenn der Älteste als einstiger Erbe kein Interesse daran habe?
Der Maxl antwortete nicht darauf. Offenbar war er auch verärgert. Er schickte von jetzt ab nur noch Postkarten, auf welche die Zahl der Tage gedruckt war, die er noch zu dienen hatte. Darüber stand »Parole Heimat«. Geschäftstüchtige Fabrikanten hatten diese patriotische Neuheit eingeführt.
Es war Friede, aber allerorten wurde Krieg geführt. Sogar der Russisch-Japanische Krieg, der erst kürzlich ausgebrochen war, spielte für unsere Bäckerei eine gewisse Rolle. Der Fürst Barjatinsky war diesen Sommer nicht mehr gekommen. Er hatte viel Brot bezogen. Jetzt stand die Villa leer da. Es hieß, der Fürst kämpfe als General in Ostasien. Dadurch rückten die ausführlichen Bilder von der Beschießung Port Arthurs und der Schlacht bei Mukden viel eindringlicher in unsere Vorstellungswelt. Wir suchten darauf überall unseren Fürsten und glaubten ihn oft zu erkennen. Und mit wohligem Schauer erfüllten uns die Schreckensszenen der aufflammenden Russischen Revolution von 1905: Pope Gapon mit den Massen vor dem Winterpalast, die schießenden Soldaten, die kopflos fliehenden Menschen und die zahlreichen Toten im Schnee, die schrecklichen Bombenwürfe auf den Innenminister Plehwe und den Großfürsten Sergius.
Wir lasen viel. Der eifrigste Leser unter uns war Maurus. Er hatte sich die ›Gartenlaube‹ abonniert, und Emma verschlang den Unterhaltungsteil der Modenhefte.
»Der hat aber einen großen Bart! … Was ist denn das für einer?« fragte unsere Mutter einmal nach dem Nachtessen, als uns der Maurus Bilder aus der ›Gartenlaube‹ erklärte.
»Ein Russ’ … Der Graf Leo Tolstoi«, erwiderte Maurus und wurde eifrig,
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