Das Leben meiner Mutter (German Edition)
»der schreibt Bücher und mag die Eisenbahn nicht … Er ist überhaupt gegen das ganze moderne Zeug und sagt, es kommt vom Teufel … Sogar das Geld mag er nicht … Er hat alles hergeschenkt und ackert und lebt wie ein Bauer.« Er zeigte das Rjepinsche Bild des pflügenden Tolstoi.
»So so … Er schaut auch ganz aus wie unsereins«, meinte unsere Mutter ein wenig interessierter.
»Ja, und die Soldaten mag er auch nicht. Er schimpft gegen den Krieg, und recht fromm ist er«, erklärte der Maurus weiter. Das gefiel der Mutter. Sie zog das Heft näher zu sich heran, beugte sich über die escherne Tischplatte, betrachtete den bärtigen Mann genauer und sagte zustimmend: »Jaja, weil er halt die harte Bauernarbeit kennt und eine Vernunft hat … Aber er muß auch schon ziemlich alt sein … Warum gibt er denn sein Geld her und gönnt sich keine Ruh’?«
»Weil er sagt, das ist eine Sünde«, erwiderte der Maurus mit einem leichten Unterton von Ironie.
»Geh! das wird eine Sünd’ sein, wenn man sein Lebtag rackert und hat sich was erspart! … Da wird man sich doch vorm Sterben noch etliche gute Tage machen dürfen!« schloß unsere Mutter leicht vorwurfsvoll und trocknete ihren rotangelaufenen, nackten »Kindsfuß« ab, um ihn wieder einzubinden. Sicher hatte sie den Tolstoi schon vergessen, jedenfalls aber, mönchische Kasteiung war gegen ihre ganze Natur. Sie wollte trotz Plage und Verdruß alt werden wie alle ehrwürdigen Mütter, die sie kannte, und dann sorglos und geruhig zurückschauen können auf ihr erlittenes Leben und auf ihre Kinder. Und deren Kinder würden dann vielleicht wieder so um sie herum sein, damit – wie sie sich manchmal auszudrücken pflegte – sie nicht aus der Übung komme. –
Das Haus schien doch zu klein zu sein. Die vielen Waren wollten untergebracht werden. Der Vater ging zur Kathl. Er war ein bißchen verlegen.
»Kathl«, fing er behutsam an, »ich will dir was sagen – helfen läßt du dir ja doch nicht … Laß reden mit dir.«
»So red halt!« meinte die Kathl, die schon witterte, daß er etwas Besonderes im Sinne hatte.
Die Emma nähte gleichgültig weiter.
»Ich seh’s doch, daß du mit deiner Näherei nicht leben und nicht sterben kannst«, tastete der Vater weiter, denn er liebte seine arme Schwester und wußte, wie empfindlich sie war. Er wollte ihr nicht weh tun.
»Mir braucht niemand was zu geben«, sagte die Kathl schärfer.
»Das weiß ich doch, aber –« warf der Vater hin.
»Was aber?« fiel sie ihm ins Wort. Der Emma wurde es ungemütlich. Und da fing der Vater an, ihr auseinanderzusetzen, sie sollte doch ins große Haus ziehen, er richte vielleicht auch einen Stoff- und Schürzenverkauf ein, und da könne sie mitmachen.
»Soso … Aber warum soll ich denn auf einmal meine paar Kammern aufgeben?« fragte die Kathl leicht abweisend und gespannt. Er wurde wieder verlegen. Schließlich meinte er, er brauche das Häusl als Warenlager.
»Schau, ich mein’ dir’s ja gut, Kathl!« konnte er gerade noch sagen, aber es war schon vorbei mit dem Frieden. Die Emma lief aus der Nähstube. Kathl und der Vater fingen heftig zu streiten an, so giftig wie noch nie.
Der Vater kam in unsere Kuchl zurück und räsonierte: »Man kann einfach kein vernünftiges Wort mit ihr reden! … Sie meint, ich will sie hinausdrücken … Scheinheiliger Tropf hin und scheinheiliger Tropf her, sagt sie … Herrgott, die Weibsbilder!«
Eine stumme, verbissene Feindschaft zwischen ihm und der Kathl hub wieder an. Alle Versöhnungsversuche unserer Mutter nützten nichts. Die Kathl fühlte sich bis ins Innerste getroffen. Der Vater erkannte, daß er ihr weh getan hatte, aber er wollte nicht der erste beim Nachgeben sein …
Es vergingen die Wintermonate. Der Vater fing zu kränkeln an. Seine durchschossene Hand wurde immer steifer. Er konnte nur mehr wenig arbeiten. Seine Haare wurden weniger, seine Zähne lockerer, und die Wassersucht in seinen Beinen stieg bedrohlich an. Aber er wollte von Doktor und Bettliegen nichts wissen. Er ging nur noch selten ins Wirtshaus. Er hatte nie eine besonders hohe Meinung von den Menschen gehabt, doch er brauchte sie genau so wie einst der alte Kastenjakl. Er entbehrte ihre unverbindliche Geselligkeit. Indessen, er konnte das Bier nicht mehr recht vertragen. Mißlaunig und vergrämt trank er nun daheim »Affenthaler Rotwein«, wovon er ein ganzes Faß gekauft hatte. Er schmeckte ihm nicht und galt ihm als Medizin. Stumm und
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