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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Gesicht.
    »So«, sagte unser Vater bewegt, ohne sich’s anmerken zu lassen, »naja, Kathl, ich hab’ dir ja alles gesagt. Du mußt wissen, was dir gut tut. Ich treib’ dich nicht weg. Um den ›Quasterl‹ brauchst du dich nicht kümmern. Solang ich leb’, komm’ ich auf für ihn.«
    Und dann redeten sie miteinander. Ihre Worte bekamen nach und nach einen immer wärmeren Klang. Der Kathl traten ein paarmal die Tränen in die Augen. Sie schneuzte sich und sagte, sie habe sich verkühlt. Auch unser Vater stockte ab und zu, und unsere Mutter schaute die Kathl manchmal fassungslos an, als wollte sie sagen: »Wie kann bloß ein Mensch freiwillig weggehen aus der Heimat? Noch in diesem Alter in die Fremde!« Doch sie schaute stets gleich wieder weg, schwieg und glaubte wahrscheinlich, daß die Kathl sich doch noch anders besinnen würde. Der Vater redete mit seiner Schwester so, als hätten sie nie gestritten. Unsere älteren Geschwister hörten ernst zu. Wir zwei Jüngsten aber, Anna und ich, fingen auf einmal zu weinen an, schmiegten uns an die Kathl und riefen bettelnd: »Nein! Nein, Kathl, du darfst nicht fort! Bleib doch da! Bleib doch bei uns!«
    Das tat ihr erst recht weh. Ihre Hände zitterten. Sie schluckte schwer, aber sie blieb bei ihrem Entschluß. Sie war zu stolz und zu eigensinnig. Sie wollte von niemandem abhängen.
    Als sie draußen war, sagte unsere Mutter schwer: »Ein Mensch – ich weiß nicht –, wenn er einmal in dem Alter noch zu reisen anfängt, da lebt er nicht mehr lang.« Ganz kurz stutzte der Vater. Auch er hatte vor einiger Zeit im Sinn gehabt, zur Kur nach Bad Aibling zu reisen. Er schaute hohl vor sich hin. Er war nicht abergläubisch, aber offenbar beschäftigten ihn Mutters Worte. Er riß sich in die Höhe, machte eine abwehrende Bewegung mit dem Arm und rief: »Ah, du immer mit deinem Aberglauben! … Unsinn! Gesund ist die Kathl durch und durch, aber man kann nicht reden mit ihr! Sie läßt sich einfach nicht helfen! Ein bockstarrer Dickkopf ist sie! … Ich treib’ sie doch nicht weg!« Wieder stockte er und sann nach.
    »Unsinn!« stieß er noch einmal heraus und wurde grämlich wie gewöhnlich. Am andern Tag nahm die Kathl von ihrem Sohn, dem Quasterl, Abschied. Sie gab ihm eine kurze Lehre, streichelte mit ihrer zitternden Hand ein paarmal über seine picklige Wange und schloß mit den Worten: »Also sei ordentlich und mach’s gut, Lorenz!« Der Quasterl sah sie mit seinen ausdruckslosen Augen an und brummte unbewegt: »Jaja, selbstredend! Selbstredend! … Freilich, freilich, Mutter!«
    Gegen Abend verabschiedete sich die Kathl, ausgesöhnt mit dem Vater. Sie weinte nicht, hatte ein verschlossenwehes Gesicht und dankte für alles. Der Vater brachte kein Wort heraus und sah sie nur starr an, als warte er auf ein unerwartetes Wort von ihr. Doch sie wandte sich schnell ab. Unsere Mutter gab ihr die Hand. Ihr Gesicht war verweint. »Viel Glück, Kathl, viel Glück!« sagte sie schnell hin und wandte sich wieder an den Herd.
    Anna und ich begleiteten die Kathl nach Unterberg zum Dampfschiffsteg. Als das Schiff wegfuhr, winkten wir noch lange, und das Herz tat uns weh.
    »Die arme, arme Kathl!« seufzten wir immer wieder auf dem Heimweg. Mitten auf der Bergstraße, die vom Unterins Oberdorf führt, blieben wir stehen und suchten das rauchende Schiff, das im dunklen, dicken Nebel verschwand.
    »Jetzt ist sie ganz fort, ganz fort, die Kathl!« sagte Anna. Traurig gingen wir weiter. Es war uns, als hätten wir etwas ganz Liebes für immer verloren …
    Tags darauf brachte der Briefbote eine Postkarte mit einem Trauerrand. Wir erschraken kurz. In weißem Feld stand: »Die Mannschaft der sechsten Kompagnie des kgl. bayrischen achten Infanterieregiments macht kund und zu wissen, daß der zehnte Tag ›Parole Heimat‹ soeben sanft verschieden ist – der tiefbewegte Reservemann.« Darunter hatte der Maxl seinen Namen gekritzelt. In zehn Tagen also kam er heim. Niemand freute sich darüber. Noch immer dachten wir an die Kathl.
    »Jaja«, brümmelte der Vater und sah dabei auf die »alte Resl«, die in der Kanapee-Ecke hockte: »Jaja, Resei, wir zwei gehören unters alte Eisen … Wir können ruhig verrecken!«
    Die »alte Resl« verstand nicht und nickte mechanisch.

Ein Soldat kehrt heim – ein Mann stirbt
    Es regnete dünn, aber unausgesetzt. Barfuß, mit aufgestülpten Hosen, stand der Quasterl auf dem dampfenden Düngerhaufen und lud Mist auf, den der Vater auf die Felder

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