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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Wilden! … Überhaupts! So was ist doch kein Kriegführen mehr! Anno 70 hat’s das nicht geben … Der damische Kaiser da! Der red’t ja daher wie ein Räuberhauptmann! … Da wird bald jeder den Respekt vor ihm verlieren!«
    »Es ist eben kein Bismarck nimmer da, der wo ihm übers Maul fährt!« stimmte der Wiesmaier zu, »lauter so Hofschranzen sind um ihn, wie bei unserm Ludwig selig …« Der so ausschweifend redselige Kaiser war überall unbeliebt, und es sickerte trotz der merkwürdigen Schweigsamkeit der Zeitungen durch, daß schon zweimal – einmal in Breslau und einmal in Bremen – auf ihn geschossen worden sei.
    »Seit der Kaiserin Elisabeth putzen die Lumpen einen um den anderen Kaiser und König weg! Wo das noch hinführt!« hörten wir den Wagner Neuner einmal sagen, und wir malten uns die gräßlichsten Bilder von den Attentaten auf russische Großfürsten, auf den dickbärtigen König Humbert von Italien, auf den amerikanischen Präsidenten McKinley und auf das serbische Königspaar Draga und Alexander aus. Da die Zeitungen gerade über diesen letzten Königsmord sehr weitschweifige, sensationelle Berichte brachten, die auch wir Kinder eifrig verfolgten, hatten wir viel zu reden vor dem Einschlafen. Der Lenz kam dabei zu dem Ergebnis, wenn diese hohen Leute nicht immer so auffallend wären, würde ihnen viel weniger passieren. »Den König Humbert, den hat man doch überall herauskennt mit seinem Riesenbart«, meinte er, »und wenn man so in Saus und Braus lebt wie die Draga und der Alexander, so was fällt doch zu arg auf.« Solche Dispute führten wir oft in aller Heftigkeit.
    »Nichts wie Umbringen und Krieg! … Da geht die Welt bald unter!« meinte unsere Mutter und setzte dazu: »Kein Mensch hat mehr einen Glauben.« Für sie waren das Sich-Bescheiden, die unverdrossene Arbeit und Glaube und Friede identisch. Ihretwegen brauchte es weder Könige, Kaiser noch Kriege zu geben. Wir lächelten über ihre Einfalt. Mit größter Begeisterung lasen wir in den billigen Wochenschriften über den Burenkrieg, spotteten auf die Engländer und waren schließlich – wie jeder Mensch im Dorf – enttäuscht und traurig, als sie das kleine Bauernvolk der tapferen, todesmutigen Buren besiegt hatten. Unser Bäkkergeselle, der rote Kaspar, wurde darüber ganz rebellisch. Er hatte über seinem Bett ein farbiges Bild des Präsidenten »Ohm Krüger« und sagte, bloß dieser Mann sei für ihn maßgebend, denn er – der einfache Bur – wär’ mehr wert als alle Fürstlichkeiten der Welt.
    »Und warum haben sie jetzt Krieg geführt? Um was ist der ganze Schwindel gangen? Um die Diamanten!« sagte der Vater zu mir. Es war Nacht. Alle waren längst zu Bett gegangen. Wir zwei blieben stets auf, um gegen zehn Uhr den Bäckergesellen zu wecken. Es war ja Herbst, und es gab nicht mehr viel zu backen.
    Der Vater erzählte mir, daß man die Diamanten und das pure Gold nirgends so haufenweise auf der Welt finde als in Südafrika, im Land der Buren. Ich horchte auf. Ich war zehn Jahre alt. Krieg und Heldentum galten mir als etwas unwirklich Großes und Erhabenes. Der Vater ließ mir keine Zeit.
    »So ist’s aber immer schon gewesen, und anders wird’s auch nie sein«, fuhr er fort, obgleich er außer seiner Zeitung nur gelegentlich einiges aus den Geschichtsbüchern las und alles kunterbunt durcheinandermengte. Er hatte eine sehr eigenartige Meinung von welthistorischen Begebenheiten.
    »Was hast du mir da neulich erzählt? Was lernt ihr jetzt grad in der Schul’?« wandte er sich an mich, und fast beflissen antwortete ich: »Vom Dreißigjährigen Krieg, vom Tilly und vom Wallenstein … Der Tilly ist ein bayrischer General gewesen und der Wallenstein ein böhmischer … Alle zwei sind für den katholischen Kaiser ins Feld gegangen, aber der Wallenstein, der hat verraten wollen, und dann ist er umgebracht worden.« Der Vater mußte lächeln.
    »Ah!« sagte er, »das steht so in den Büchern! … Das ist ganz anders gewesen. Der Tilly ist auf den Wallenstein bloß neidisch gewesen, weil der mehr Geld und Soldaten gehabt hat, weiter nichts … Und außerdem haben die Tillys viel Holz gehabt im Bayrischen bis weit ins Böhmische hinein. Der Wallenstein aber hat gesagt: Halt, Bruder, was auf böhmischem Boden steht, das gehört mir. In Bayern kannst du machen, was du willst … Und da hat der Tilly dafür gesorgt, daß der Kaiser auf den Wallenstein mißtrauisch worden ist, und nacher ist der Wallenstein

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