Das Leben meiner Mutter (German Edition)
geschickt vermitteln und ausgleichen bei Streitigkeiten als der Eugen.
»In diesem Sommer wird wohl der Barjatinsky wieder kommen«, sagte der Vater einmal zur Mutter und legte die Zeitung hin. »Die Russen haben verloren, und die Japaner sind Sieger. Es ist wieder Frieden … Wenn der Fürst nicht gefallen ist und wenn sie ihn bei der Revolution nicht umgebracht haben, dann wird er bald wieder da sein … Bei ihm daheim in Rußland ist’s ja jetzt gar nicht schön … Da wenn der Maxl heimkommt, findet er ein schönes Geschäft.«
Die Mutter erinnerte sich: »Jaja, allzu lang kann er nicht mehr ausbleiben, der Maxl.« Im Garten draußen schmolz der Schnee. Im Sommerhäusl auf dem Tisch verdrängte schon ein erster Star die vielen Spatzen, die das hingestreute Futter aufpickten. Warme Tage kamen.
»Weißt was?« sagte der Vater belebter, »ich will dem Maxl eine Freud’ machen, bevor er heimkommt … Ich schick’ ihm meine Kriegerpension. Er soll ins Französische fahren und die Schlachtfelder anschauen, wo ich anno 70 und 71 kämpft hab’ … Das wird ihn interessieren.« Er war ganz und gar dafür eingenommen. Unsere Mutter widersprach ihm nicht, obgleich sie das viele Geld reute. Sie war froh, daß der Vater wieder einmal eine bessere Laune hatte.
Es vergingen einige Tage. Der Wagner Neuner, der jetzt öfter kam, saß wieder da. Auch der Schmalzer-Hans trank stets seinen Schnaps in unserer Kuchl, aber mit ihm war nicht viel zu reden. Mit dem Neuner dagegen konnte man politisieren. Freilich, der Neuner ließ nur das Bayrische gelten.
»Seit der König Ludwig tot ist, weiß man überhaupt nicht mehr, wer regiert … Vom Prinzregent hört man zu wenig und von dem plärrmäuligen, überspannten Kaiser hört man zuviel«, meinte der Neuner.
Der Schmalzer-Hans, der am kleinen Tischchen an der Wand hockte, brummte nur gleichgültig dazwischen: »Jaja, der Ludwig! Der Ludwig! Jajaja, der Ludwig, hat er g’sagt … Der Ludwig ist schon recht g’wesen!« Vater und Neuner überhörten dieses Dareinbrümmeln stets.
»Aber soweit ist’s jetzt doch«, wandte sich der Vater an den Neuner und deutete auf die Zeitung, »soweit ist’s jetzt doch, daß die Bürger jetzt mitzureden haben … So einfach mir nichts, dir nichts kann der damische Kaiser nimmer regieren … Jetzt reden Landtag und Reichstag.« Er wurde lebhafter und fuhr fort: »Weißt, was ich da neulich gelesen hab’ … Bei den Ämtern gibt’s jetzt ein Beschwerdebuch … Da kann jetzt jeder, der von so einem hochnäsigen Beamtenhammel unrecht behandelt wird, seine Meinung ’neinschreiben, und das geht dann weiter … Das Beschwerdebuch, ich muß sagen, so was ist schön …«
Beschwerdebuch? Niemand hatte je etwas davon gelesen, aber wenn unser Vater einmal einen solchen Gedanken hatte, ließ er ihn nicht mehr los. Weiß Gott, woher er etwas von einem Beschwerdebuch gelesen oder gehört hatte. Er war begeistert. Er malte dem Neuner aus, wie wunderbar da den Beamten beizukommen sei. Er redete und redete zuletzt ganz hitzig, und der Neuner stimmte zu: »Jaja, so was ist was Gut’s … Der einfache Mensch kommt da auch zu seinem Recht …« Längst war man von jeder Politik abgekommen. Nur das Beschwerdebuch beschäftigte noch. »Jaja, Beschwerdebuch … Ja, Beschwerdebuch hat er gesagt … jaja, das Beschwerdebuch«, brümmelte der Schmalzer-Hans dösig dazwischen …
Am Monatsersten fuhr der Vater nach Starnberg und ging ins Rentamt, um seine Kriegerpension abzuheben. Der Beamte zählte ihm das Geld auf ein funkelnagelneues, vorne zu einem Dreieck zulaufendes Zahlbrett. Diese Bretter waren eine Neueinführung.
Der Vater sah kampfbereit zu.
»Vierundfünfzig? … Stimmt’s, Herr Graf?« sagte der Beamte arglos und schob das Brettchen mit der übersichtlich geordneten Summe durch die kleine Schalteröffnung: »Bitte, Herr Graf.« Er hob das Brettchen und wollte unserem Vater das Geld in die flache Hand schütten. Da stockte er, weil ihn ein fast mörderischer Blick traf.
»Was ist’s denn?« stieß er leicht verwirrt heraus und zögerte.
»Was es ist?« fing unser Vater scharf an, und Hohn und Wut bebten in seinen Worten: »Was das ist, möcht’ ich auch wissen! … Auf einem Brettl wird uns Kriegern jetzt schon das Geld hergezählt wie dem Hund das Fressen! … Sie, Sie!! Sie windiger Federfuchser, Sie, was glauben denn Sie eigentlich! Sie niederträchtiger Bürohengst, Sie! … Einen zahlenden Bürger, einen
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