Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
Feldsoldaten von anno 70 erlauben Sie sich, so zu behandlen! Sie, Sie klein’s bißl Beamtenschädl, Sie! … Himmelherrgottsakrament-sakrament, wer zahlt denn euch eigentlich, wenn ich fragen darf, ihr ausgehungerten Staatskrüppel. Ihr … Ha, jetzt wird’s ja immer schöner! Immer netter! … Weg mit dem Geld da, sag’ ich! Das Beschwerdebuch will ich, basta! Her mit dem Buch! Her damit!« Der verdutzte Beamte stand mit weitaufgerissenen Augen und offenem Mund da. Aus den anderen Schaltern reckten sich einige Köpfe. Es wurde unruhig. Unser Vater aber fing sein gefürchtetes Bellen an. Es hagelte nur so von saftigen Beleidigungen. Alles stockte. Die Beamten kamen in den Vorraum, in dem sonst kein Mensch war. Fluchend und dröhnend verlangte der Vater das Beschwerdebuch. Immer und immer wieder. Niemand kam zu Wort vor seinem Ausbruch, niemand konnte ihm etwas erklären. Zuletzt stand der Bezirksamtmann selber da und rief scharf, daß es ein Beschwerdebuch nicht gebe, aber der Vater ließ auch jetzt nichts gelten. Weder Güte noch Drohungen konnten ihn einschüchtern!
    »Recht muß einfach Recht bleiben, solang ich Bäcker Graf bin!« schrie er hartnäckig auf den Bezirksamtmann ein, »und wenn ich ins Zuchthaus komm’ – ich will das Beschwerdebuch …« Er merkte plötzlich, daß er allein dastand und brach ab. Der Bezirksamtmann, ein äußerst loyaler Mann, hatte nach dem Eugen in die Brauerei hinübergeschickt, damit er den Rasenden bändige. Eugen kam, aber er mußte lange reden. Er mußte beschwören, daß erstens die Zahlbretter jetzt überall eingeführt seien und durchaus nicht Beleidigendes hätten, und zweitens, daß er sich genau danach erkundigen würde, ob es wirklich die Einrichtung des Beschwerdebuches gebe. Ohne seine Pension anzunehmen, zog der Vater mit ihm ab. Gereizt und erbittert kam er heim und erzählte.
    »Jaja, warum regst du dich denn jetzt allweil gar so auf! … Hmhm, ich versteh’ nicht, was dich jetzt da wieder so auseinanderbracht hat … Hm hm!« jammerte unsere Mutter und sah Düsteres voraus. Wir Kinder waren nur enttäuscht, weil der Vater vergessen hatte, uns Würste mitzubringen.
    Zum Glück kam nichts Düsteres nach. Eugen kassierte im Namen des Vaters die Kriegerpension und hatte es auch verstanden, die Beamten und vor allem den Bezirksamtmann umzustimmen.
    »Vater«, sagte er am darauffolgenden Samstag, als er heimkam, »glaub mir doch, die Zahlbretter sind jetzt modern … Wir in der Brauerei haben sie auch. Da ist doch nichts dahinter.« Er lobte den verständigen Bezirksamtmann und fuhr noch einnehmender fort: »Ich hab’ lang mit ihm geredet … Er ist ja auch Kriegsveteran von anno 70 und er schätzt dich, Vater …«
    »Und das Beschwerdebuch?« forschte der Vater mißtrauisch.
    »So was gibt’s nicht … Vielleicht hast du da was Falsches gelesen. Nicht einmal wir in der Brauerei haben eins«, beteuerte der Eugen. Der Vater maß ihn noch immer mißtrauisch.
    »Vielleicht, daß es in Preußen so was gibt … Bei uns gibt’s das nicht«, versuchte der Eugen klarzumachen. Der Vater beruhigte sich endlich. Er nahm das Geld und schickte es dem Maxl nach Metz für die Reise auf die französischen Schlachtfelder. Der aber lehnte ziemlich trocken ab, indem er schrieb: »Ein deutscher Soldat fart nicht nach Frangreich. Das währe hinausgeschmiesenes Geld – es lebe der Reservemann Max Graf.« Das verdroß den Vater tief.
    »Hochnäsig tut er auch noch und kann noch nicht einmal ohne Fehler einen Brief schreiben!« brummte er und warf den Brief auf den Tisch. Mit bangen Ahnungen sah unsere Mutter dieser Heimkehr entgegen.
    Die Kathl kam um diese Zeit einmal in unsere geräumige Kuchl. Wir alle wußten, das hatte eine besondere Bedeutung. Vielleicht wollte sie sich doch wieder aussöhnen mit unserem Vater. Es war ihr anzusehen, wie schwer sie diesmal mit sich gerungen hatte.
    »Max«, sagte sie ohne jede Einleitung und schaute dabei ihrem Bruder ein wenig hilflos, aber unverwandt in die Augen, »Max, ich hab’ mir’s überlegt, ich zieh’ in die Stadt … Die Emma muß schon woanders lernen … Du hast recht, auf dem Dorf kann ich von meiner Näherei nicht leben … Ich steh’ euch ja auch im Weg. Und, daß du mich erhältst, du weißt, das will und mag ich nicht. Ich will bloß wegen dem Lorenz noch mit dir reden. Den muß ich ja bei dir lassen.« Sie war traurig und ein bißchen verstört. Die Emma, die am meisten an ihr hing, bekam ein wehes

Weitere Kostenlose Bücher