Das Leben meiner Mutter (German Edition)
schnitten die gekochten Trockenbirnen und Feigen für das schwere Kletzenbrot, das zwischen Weihnachten und Neujahr gebacken wurde. Die Kuchl war schon angedunkelt, und es war heimelig warm.
»Daß der uns gar einmal allein läßt! Daß er uns traut, wenn er weg ist!« sagte Mutter in bezug auf den Maxl. Die Leni schnitt eifriger. »Er hat doch gesagt, er hat was mit den Zähnen«, meinte Emma spöttisch, »vielleicht geht der Herr auf Brautschau!« Doch das interessierte keinen. Die Emma drehte das elektrische Licht an und zog einen Brief aus ihrer Schürze. Er war vom Eugen aus Amerika. Er hatte ihn für uns an seine Starnberger Braut geschickt. Er schilderte die Überfahrt und die Reise zur Stasl und beschrieb die Einzelheiten sehr bildhaft, aber wir wurden erst gespannt, als er auf unsere alte Tante zu sprechen kam.
»Sie ist sehr alt geworden, aber sie hat viel vom Vater«, schrieb er, »man kann mit ihr über alles reden, aber es geht ihr nicht gut. Ihr Mann, der Voshank, ist ein sehr eingebildeter, widerwärtiger Kerl, der mich immer belehren will. Er arbeitet im Bergwerk, gibt aber der Stasl nur ganz wenig. Sie muß sich ihr Geld selber verdienen und vermietet an andere Berg arbeiter aus Polen, Österreich und Deutschland. Sie kocht und wäscht für sie und muß hinter jedem Dollar her sein.«
»Jaja«, erinnerte sich unsere Mutter, »das hat die Stasl damals auch schon an den Vater selig geschrieben … Zehn oder elf Jahre wird’s jetzt her sein.« Die ganze lange Zeit waren die Voshanks nicht weitergekommen! Warum redeten denn dann die Leute immer vom »goldenen Amerika«?
Die Emma las weiter: »Seattle ist ein weit auseinander gezogenes, häßliches Bergarbeiterstädtchen, liegt ganz im Nordwesten und nicht weit weg von Indianerreservationen. Die Häuser sind hier, bis auf einige in der ›City‹, die sehr hoch sind, alle aus Holz und sehr verwahrlost. Niemand läßt etwas richten dran. Das nimmt Geld und Zeit, und die Stasl sagt, zu was? In Amerika bleibt keiner lang auf einem Fleck.«
»Aber sie ist doch schon so lang dort«, warf unsere Mutter ein. Ungeduldig wehrte Emma ab und fuhr fort: »Jeder hängt hier nur am Verdienen und am Dollar. Dafür schuften sie, jeder, soviel er nur kann, Frauen und Männer. Als Kaufmann kann ich hier nichts machen. Ich werde entweder wieder in die Bäckerei gehen oder vorläufig ins Bergwerk. Der Voshank glaubt, sie nehmen mich.« Unsere Mutter bekam ein immer verdrießlicheres Gesicht. Wahrscheinlich dachte sie: Zu was hat er nun so weit fort müssen, der Eugen, und in dieses Elend hinein?
Und – sie war nicht überheblich, doch sie hatte irgendein dunkles Gefühl, als sei der Absturz vom Eugen sehr, sehr beschämend. Die Emma las weiter: »Aber habt nur keine Angst um mich! Kümmere dich nicht um mich, liebe Mutter! Ein junger Mensch kann sich überall hinaufarbeiten. Wie er das hier macht, danach fragt niemand. Was er ist, das interessiert nicht, man fragt sich nur gegenseitig, wenn man sich trifft: ›Was machst du Dollars?‹ Die Deutschen sucht man, weil sie sehr tüchtig sind und am meisten arbeiten, aber sie kennen dich auch sofort nicht mehr, wenn sie einmal in Amerika sind.«
»Und bei der Brauerei in Starnberg, da hat er’s so schön gehabt … Wer weiß denn, ob er sie nachkommen lassen kann«, meinte unsere Mutter wiederum bekümmert. Peppi hieß Eugens Braut. Emma überhörte es und las von neuem: »Erinnert Ihr Euch noch, daß die Stasl dem Vater einmal von einem Graf geschrieben hat, der in Philadelphia ansässig war? Er ist Maurer gewesen, und in seinem Haus hat Thomas Jefferson – das war ein großer amerikanischer Staatsmann und Präsident – im Jahre 1775 die Unabhängigkeitserklärung entworfen. Der Graf muß einer aus dem Salzburgischen gewesen sein, die man damals als Ketzer vertrieben hat. Die Stasl hat das Zeitungsblatt aufgehoben. Ganz stolz sagt sie: Wir Grafs sind schon alte Amerikaner. Wenn ich einmal Zeit hab’ und mehr bekannt bin, will ich dem nachgehen.«
»Hm, was der alles schreibt, hm! … Ketzer? Davon weiß ich nichts! … Was ist denn das eigentlich, ein Ketzer?« fragte unsere Mutter und ergänzte: »Solang ich überhaupt weiß, sind die Bäcks in Berg gewesen.« Sie hatte die Niederschriften Kastenjakls nie gesehen. Sie las nur ab und zu den ›Kirchenanzeiger‹ im Starnberger ›Land- und Seeboten‹ und die Todesanzeigen. Ketzer, das war für sie ein fremdes, nicht ganz geheures Wort. Sie schaute auf die
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