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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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denn noch nie hatte ein Mensch so zu mir gesprochen, und wenn ich auch das meiste nicht verstanden hatte – eigentümlich –, es überkam mich auf einmal ein Gefühl der Brüderlichkeit. Sicher hätte ich in den Augenblicken dieses Überschwanges alles getan, was Beckenbauer gesagt hätte.
    In dieser Nacht gerieten uns die Semmeln besonders schön. »Sie lachten«, wie unsere Mutter zu sagen pflegte.
    »Jaja, Frau Graf, solches Brot backen nur Sozialdemokraten!« lächelte sie der Beckenbauer ironisch an, als er die Körbe in den Laden zog. Auch sie lächelte nichtsahnend und freundlich.
    »Paß auf, der Maxl stellt ihn heute sicher aus«, raunte ich ihr zu, als wir zu zweit in der Kuchl saßen, und erzählte.
    »Hmhm, jetzt so was! … Was geniert ihn denn das, was der Michl für ein Mensch ist, wenn er seine Arbeit richtig macht … Der Michl ist doch so ein guter Bäck, und er hat doch noch nie wem was in den Weg gelegt«, meinte Mutter. »Weiß Gott, was wir wieder für einen kriegen!« Zu widersprechen, dem Maxl sich zur Wehr setzen, kam ihr nicht in den Sinn.
    Am Nachmittag entließ der den Gesellen auch wirklich. Wehmütig nahm ich von ihm Abschied. Einige Gesellen nach ihm kamen und gingen bald wieder. Ich vergaß den Michl nicht …
    Das Frühjahr brach herein. Vor einigen Jahren war mein Taufpate Oskar Strauch, der Besitzer des »Hotel Leoni«, gestorben. Bei einer Rauferei auf einem Faschingsball hatte ihn einer der Raufenden in der Dunkelheit mit dem Gegner verwechselt und ihm einen Messerstich in die Lungengegend versetzt. Der gesunde Mann siechte seitdem dahin. Nach seinem Tod führte die Strauchin das verschuldete Hotel weiter. Sie war gewöhnt, auf großem Fuß zu leben, liebte eine geschmackvolle Eleganz, war aber eine schlechte Rechnerin und geriet immer mehr in Schulden. Von meinem Taufpaten hatte ich den Namen bekommen, und sie, die Strauchin, hatte meine Schwester Anna aus der Taufe gehoben. Auch sie hieß Anna. Nun führte sie ihr Patenkind auch noch zur Firmung nach Wolfratshausen. Sie fuhr in der schönsten Kutsche und beschenkte Anna sehr reich. Gerührt und stolz betrachtete Mutter die goldgefaßte Korallenhalskette und die Armbänder. Sie wog die zierliche Damenuhr in ihrer Hand und sagte bewundernd: »Alles gutes Gold. Das behält seinen Wert.« Was hatte ich dagegen für einen schoflen Firmpaten gehabt – den Roßkopf, den der Maxl dazu angehalten hatte. Er konnte trotz seines Geizes damals nicht ablehnen und gab mir eine silberne Uhr, die schon nach acht Tagen schwarz wurde!
    »Splendid ist sie immer gewesen, die Strauchin … Und was sie schenkt, das kann sich sehen lassen«, äußerte die Mutter.
    Am Anfang des Sommers – Gäste hatten sich schon wieder im »Hotel Leoni« einlogiert – fuhr die Strauchin nach München und erschoß sich. Trotz all ihrer Fehler, trotz ihres weitbekannten Schuldenmachens war sie allenthalben beliebt gewesen. Sie war zu stolz, um ihren Bankrott einzugestehen, und vielleicht schämte sie sich vor all den Leuten. Der Maxl war wütend.
    »Nanndl«, sagte unsere Mutter zu meiner jüngsten Schwester, »bet für die Strauchin. Sie ist eine feine, gute Person gewesen. Vergiß sie nicht!«
    Anna weinte.
    »Sie ist ein armer Mensch gewesen … Der Strauch sollt’ das Unglück nicht gehabt haben. Er sollt’ länger gelebt haben«, redete Mutter weiter, hielt einen Augenblick inne, schaute irgendwohin und schloß: »Sie hat ihre Ruh’ jetzt … Jeder Mensch kann froh sein, wenn’s ’rum ist …« Sie wandte sich zum Herd und griff ins heiße Spülwasser.
    Damals an den heißen Sonntagnachmittagen, wenn der Maxl fortgegangen war, setzten wir uns meistens in das schattige Sommerhäuschen vor dem Haus. Zufällig kam einmal die leutselige Frau Kommerzienrat Weinmann am Zaun vorbei. Wir grüßten freundlich.
    »Ach, Frau Graf!« rief die Kommerzienrätin stehenbleibend, »kommen Sie doch einmal her!« Unsere Mutter kam etwas zögernd zum Zaun. Ohne aufzusehen strickte die Leni weiter. Wir lugten neugierig auf die beiden Sprechenden am Zaun. Frau Weinmann hatte ihren Sonnenschirm tief über Mutters Kopf gesenkt, redete eifrig und halblaut.
    »Was? … Jajaja, hm, jetzt so was … Hm! Uns sagt er ja nie was!« hörten wir unsere Mutter sagen. Frau Weinmann sprach noch leiser. Als sie endlich weiterging, kam Mutter kopfschüttelnd, mit bestürztem Gesicht zu uns zurück.
    »Hm, der Maxl hat ja schon zwei ledige Kinder vom Weinmann-Zimmermadl!« sagte

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