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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Leni.
    »Ketzer, hat unser Pfarrer allweil gesagt, das sind Lutherische gewesen«, antwortete die, und da murrte unsere Mutter leicht ärgerlich: »Ah! Geh! Der Vater selig hat doch genau seinen katholischen Glauben gehabt wie ich! Anders wenn’s g’wesen wär’, hätten wir doch gar nicht kopuliert werden können! … Die Stasl ist noch genau so eigensinnig wie früher!«
    »Jetzt ist’s gleich aus«, warf die Emma dazwischen und las den Schlußabsatz des Briefes: »Die Stasl sagt immer, ich würde dem Vater gar nicht ähnlich sehen, sondern Dir, liebe Mutter. Sie läßt Euch alle herzlich grüßen. Schreibt mir bald und recht viel. Ich möchte wissen, was der Maurus und der Lenz machen. Vielleicht können sie auch herüberkommen, dann fangen wir gemeinsam etwas an, eine Bäckerei oder Konditorei. So was hat hier, wie die Stasl sagt, große Zukunft.«
    »Ja freilich, das auch noch!« rief unsere Mutter, »den Eugen seh’ ich sowieso nicht mehr!«
    Später suchten wir in dem eingelassenen Mauerkästchen in Mutters Kammer nach Niederschriften vom Kastenjakl, die uns auf einmal heftig interessierten. Wir kamen in die Stube, wollten im Schreibtisch suchen, aber Maxl hatte alle Schubladen versperrt.
    Vor dem Zubettgehen saß ich noch mit der Emma in ihrer Nähkammer beisammen. Auch ihr waren die Aufzeichnungen unseres Großonkels beim letzten Hausumbau in die Hände gekommen. Sie hatte einiges überflogen, aber nicht weiter beachtet. Nachdenklich sagte sie: »Jaja, es kann vielleicht sein, daß wir Grafs einmal Protestanten gewesen sind. Den Luther hat ja Vater immer sehr verehrt … Ja, und aus Salzburg kommen wir her, das ist auch wahr.« Sie, die immer empfindsam und phantasievoll war, besann sich kurz und schloß mit einer leichten Begeisterung: »Hm, es ist eigentlich schön, es ist großartig, wenn man denkt, daß wir Grafs über die ganze Welt verstreut sind.«
    Mit ihrer und Theres’ Hilfe konnte sich Eugens Braut nach ungefähr einem knappen Jahr nach Amerika einschiffen. Gleich nach ihrer Ankunft heirateten die beiden. Das kleine »Pepperl«, ihr Kind, kam in unser Haus. Unsere Mutter zog es auf, als wäre es ihr eigenes.
    Unser jetziger Bäckergeselle hieß Michael Beckenbauer. Er schlug mich fast nie und versuchte mich politisch aufzuklären, doch ich begriff nur wenig. Er war klein, fast schwächlich, hatte einen Vollbart und schnupfte sehr viel. Die meiste Zeit lächelte er spöttisch und war gar nicht unterwürfig. Darum mochte ihn der Maxl auch nicht. Er konnte ihn aber auch aus einem anderen Grund nicht leiden. Während der sommerlichen Hochsaison beschäftigten die Bocks ab und zu einige Dorfmädchen in ihrer Hotelküche. Je nach ihrer Laune mischte sich die kleine Frau Bock in den Betrieb und regierte herum, als sei sie im Sudan. Sie schlug sogar die Mädchen ein paarmal, und die liefen einfach weg und schimpften überall herum. Im Dorf gab es eine arge Mißstimmung, doch der Maxl fand das Benehmen der Frau Bock »ganz in Ordnung«. Seiner Art entsprechend gab er stets den widerspenstigen Menschen die Schuld, denn ein dienender Mensch hatte zu gehorchen. Der Beckenbauer hörte von allem und fuhr einmal in die Stadt. Als er des Nachts mit mir am Trog stand, sagte er fast schadenfroh: »Jetzt wart’ einmal ab, Oskarl, diese Herrschaften da drunten im Seehotel werden bald erleben, daß der Dienstbote kein Vieh ist … Aber red’ nichts drüber, verstehst du?« Ich versprach es. Ich war sehr gespannt. Bald darauf kam eine Kommission ins Seehotel. Die Leute erfuhren es durch Kellner und Koch. Die Bocks wurden auf einmal sehr kleinlaut. Im Dorf freute sich jeder, daß ihnen ein Dämpfer aufgesetzt worden war.
    Ob nun die Bocks erfahren hatten, daß die Kommission von unserem Gesellen gerufen worden war, kam nicht heraus. Jedenfalls aber stellten sie einen Konditor an und bezogen keine Kuchen mehr von uns. Der Maxl suchte sie auf, erfuhr ihren Verdacht und war sehr verärgert, aber seltsamerweise stellte er den Beckenbauer nicht zur Rede. –
    »Siehst du, Oskarl, das ist die Macht der Partei«, versuchte der Geselle mich nachts aufzuklären, »wenn wir Sozialdemokraten erst einmal das Übergewicht haben, gibt’s solche Ausbeuterschweinereien nicht mehr.« »Partei« und »Sozialdemokratie« kamen mir in diesem Augenblick als etwas sehr Geheimnisvolles und Mächtiges vor. Und welchen jungen Menschen zieht so etwas nicht an! Die Ideen und Erzählungen von Beckenbauer interessierten mich, ja,

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