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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Eine unsagbare Melancholie lag in ihren Worten. Wahrscheinlich dachte sie: Was ist der Mensch? Nichts anderes als dieser schwarze Boden … Einmal wächst alles über ihn weg …
    Sie gingen weiter.
    »Arg brennen tuns, meine Füß«, nahm die Mutter das Gespräch wieder auf.
    »Ja, und die Hund’ fressen Gras. Da wird der Regen nicht mehr lang auf sich warten lassen«, sagte die Leni, denn das waren sichere Anzeichen dafür.
    »Hm, solang schreibt er nicht, der Eugen«, fiel der Mutter ein.
    »Amerika ist ja auch recht weit weg«, tröstete sie die Leni.
    »Die Älteren haben jetzt alle was gelernt. Jedes kann sich fortbringen, aber die Jüngeren? … Da, wenn der Maxl einmal heiratet, die wirft er einfach hinaus«, redete Mutter leicht bekümmert weiter. Die Leni schwieg.
    Sie blieben vor der kleinen Anna-Kapelle stehen, die der Schatzl einst erbauen hatte lassen. Von da führte, an hohen Eichen vorüber, ein schmaler, ausgefahrener Weg hügelwärts ins Dorf. Rücklings und rechter Hand begann eine ausgedehnte Buchen- und Fichtenwaldung. Gleich das erste Geviert davon gehörte zu unserem Grundbesitz. Nachmittagsmüd trillerten vereinzelte Vögel in den Baumkronen.
    »Das Holz hat der Bäck seinerzeit noch vom Schmalzer-Hans eingehandelt«, deutete Mutter in die Richtung und fuhr fort: »Das hat sich schön herausgewachsen und ist schlagbar geworden. Das ist was wert … Ich hab’ bloß Angst, wenn der Maxl der Theres und der Emma ihr Heiratsgut einmal nauszahlen muß, daß er nachher Geld drauf aufnimmt, denn wo soll er denn auf einmal den Haufen Geld hernehmen.«
    Sie und wir alle wußten nie etwas Genaueres drüber, wie sich unser Geschäft eigentlich rentiere und ob überhaupt bares Geld da sei. Wir sahen nur: Not gab es schon lange, lange keine mehr bei uns. Wenn etwas nötig war, wurde es gekauft. Keinem von uns ging je etwas ab. Allerdings größere Beträge kamen uns höchstens dann zu Gesicht, wenn eine Mehl- oder Kolonialwaren-Rechnung beglichen werden mußte. An den Schreibtisch aber ließ der Maxl keinen. Die Bücher führte er allein, und wenn er fortging, sperrte er sie ein.
    »Jaja, schön steht’s da, das Holz«, sagte die Leni im Weitergehen und stützte Mutter am Arm, weil der Weg sehr steinig wurde.
    »Hm, lang wird es nicht mehr hergehn«, sagte die wieder, »ich bin bloß neugierig, was er einmal für eine Hochzeiterin d’herbringt, der Maxl … Ganz g’wiß so eine sieb’ngescheite, feine Herrschaftsköchin, die nichts versteht vom Geschäft und von der Feldarbeit …« Sie verschnaufte kurz und fügte verdrossen hinzu: »Besser wär’s schon bald, ich tät’s nicht mehr erleben …« Die Leni wußte nichts drauf zu sagen.
    »Eine Einheimische schaut er ja gar nicht an … Den Kopf tragt er weiß Gott wie hoch«, nörgelte Mutter weiter. »Eine ordentliche Person mag er überhaupt nicht.« Und ganz geschwind, unvermerkt, schaute sie die Leni an. Die aber spürte es, schlug die Augen nieder und meinte endlich: »Ja, mein Gott, da kann man keinem was einreden …« Sie wußte mehr als wir alle. Seitdem sie statt der Theres das Brot nach Leoni fuhr, gab ihr der Maxl manchmal insgeheim Konfekt oder eine Torte für die Kammerzofe vom Kommerzienrat Weinmann mit. Leni ließ nie etwas darüber verlauten. Sie war nur Dienstbote und tat, was man ihr auftrug. Sie glich aber auch der Mutter darin, daß sie jede Ursache zu einem Streit ängstlich vermied.
    Die Mutter stolperte über einen Stein. Meßbuch und Rosenkranz fielen ihr aus der Hand. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich auf die Leni stützen. Eine jähe Blutwallung war der Taumelnden ins Gesicht gestiegen. Sie holte bedrängt Atem, schüttelte den Kopf und sagte: »Hm, hm, gar nichts mehr bin ich! Ganz invalid komm ich mir hie und da vor.«
    »Stolpern tut jeder einmal«, beruhigte sie die Leni. Wieder schaute die Mutter in ihr kleines, knochiges, gradliniges Gesicht und sagte weich, fast zärtlich: »Leni! Daß du bei uns bist, das ist noch ein Glück!« Leni wurde verlegen und um und um rot. –
    Ich war inzwischen aus der Schule gekommen und arbeitete nun als Lehrling nachts in unserer Backstube. Schon lange hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich für einen Beruf erlernen wollte. Zuerst versuchte ich es als Erfinder, da ich zufällig einmal Edisons märchenhaften Aufstieg gelesen hatte. Alles, was ich von jetzt ab in die Augen bekam, schien mir für Verbesserungen geeignet. Eine wirre Masse von Ideen ging mir

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