Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Mark hat sie sich erspart … Ich will sie doch heiraten, das ist billiger.« Er lachte dünn.
»Ja, hm, und habt ihr euch denn gern?« wollte ich wissen.
»Naja, gern?« erklärte er, befriedigt über seine Schlauheit: »Gern? Ich will dir sagen – ich könnt’ ja auch, wie’s unsere Mutter will, eine reichere Partie machen, aber weiß man denn, was man da für eine kriegt? Die Mimi kenn’ ich jetzt in- und auswendig. Sie ist nicht herrschsüchtig, sie folgt mir, und – wir haben uns aneinander gewöhnt … Ich glaub’, da mach’ ich keinen Fehler.«
Unwillkürlich mußte ich an die Heirat von Vater und Mutter denken.
»Ja, Maussei«, spöttelte ich, und ich wußte, er konnte diesen Kosenamen nicht leiden, »Maussei, jetzt fahr nur heim! … Ich bin neugierig, wie du dich als Ehemann ausnimmst.« Er nahm es hin, wie es gemeint war, und lustig gingen wir zum Bahnhof.
Bald darauf heiratete er ganz unauffällig. Manche Tochter aus der Nachbarschaft verübelte ihm das insgeheim, doch Mimi hing mit einer verborgenen Dankbarkeit an ihm, und es wurde eine recht gute Ehe.
Unsere Mutter aber gewöhnte sich nur schwer daran. Manchmal hockte sie allein in ihrer Kuchl droben und war traurig. Nur die kleine Annamarie erhellte ihre einsamen Tage …
Ein Abschied
Es war ein Mann – etwas über fünfzig und noch rüstig –, der erwachte an jedem Morgen, sah seine magere Frau an, seine zwei dürren Kinder, die noch schliefen, atmete schwer und stieg verdrießlich aus dem dämpfig-warmen Bett. Im kahlen Zimmer war es kalt, in der nebenanliegenden, winzigen, säuerlich riechenden Küche war es ebenso kalt, und die Fenster waren von oben bis unten dick gefroren. Die graue Winterhelle von draußen drang kaum durch sie. Es herrschte eine farblose, unbestimmbare Dämmerdüsternis im Raum. Der Mann knipste das elektrische Licht an. Es brannte nicht. Er ging an den Gasherd, wollte die Flamme anzünden. Das Zündholz verglomm. Das Gas kam nicht. Es war abgesperrt worden.
Eine Sekunde lang starrte der Mann störrisch vor sich hin. Seine aufeinandergebissenen Zähne knirschten. Er begann fröstelnd zu schlottern. Endlich gab er sich einen resoluten Ruck, ging an den Wasserhahn, wusch sich geschwind, kämmte sich, schabte die letzten Tabak-Krümel in seiner Rocktasche zusammen, stopfte seine Pfeife, zündete sie an, zog die ersten Züge Rauch gierig in sich hinein und verließ die trostlose Wohnung.
Auf den überschneiten Straßen war es schneidend kalt. Manchmal fiel den Dahinschreitenden eine eisige Windwelle an. Er hatte keinen Mantel. Seine Hände steckten tief in den Hosentaschen, sein schmaler Rockkragen war hochgestülpt, seinen Kopf hatte er eingezogen, und seine Nase tropfte. Fast wütend griffen seine Beine aus, aber es fror ihn immer noch mehr. Die Trambahnen fuhren dumpf krachend vorüber, ein Lastkraftwagen schepperte schwer, die leblosen Auslagenfenster glotzten in den fahlen Tag, und eben verlöschten die hohen Bogenlampen. Hin und wieder sah der Mann einen Rudel Menschen, die den Schnee wegräumten. Der Stadtmagistrat hatte ihnen für kurze Zeit Beschäftigung gegeben. Der Mann blickte gramvoll neidisch auf sie. Mancher von ihnen hatte ein verkratztes, zerschundenes Gesicht. Sie hatten sich am Morgen um diese schlechtbezahlte Arbeit geschlagen. Mit Fäusten und Schaufeln waren sie aufeinander losgegangen, denn keiner wollte zurückstehen, jeder wollte wenigstens zu diesem Verdienst kommen. Die Polizei mußte eingreifen. Einige gefährlich Verwundete waren in die Krankenhäuser gebracht worden.
Der Mann kam endlich im großen Gebäude des Städtischen Arbeitsamtes an. Alle Gänge waren vollgepfropft. Die Luft war stickig. Es roch überall nach ungelüfteten Kleidern, nassem Leder und kaltem Tabakrauch, und die Menschen hatten böse Gesichter. Knurrend stießen sie aneinander, schoben sich vorwärts, drängten sich. Doch nach einer guten Weile fühlte der Mann erleichternde Wärme, und sein Körper verlor die Starrheit. Er stand stundenlang und stundenlang mit vielen anderen in einem Raum, kam endlich vor ein Schalterfenster und zeigte seine Stempelkarte.
»Noch nichts?« fragte er stumpf.
»Bäcker sind Sie? … Nein, da ist nichts frei!« erwiderte der Beamte gleichgültig und schlug den Stempel auf das steife Stück Papier.
»Auch keine andere Arbeit? … Irgendeine?« fragte der Mann wieder.
»Nichts! Wird doch überall abgebaut … Und übrigens ist das nicht mein Ressort!« gab der Beamte
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