Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Ich versteh’ nicht, daß dich das nicht interessiert! … Immer kommst du mit deiner Politik! Die wird doch immer ohne uns gemacht.« Er fuhr behutsam mit der Innenfläche seiner Hand über die stachligfeinen Borsten und bekam dabei ein fast zärtliches Gesicht.
»Gegen Hitler müssen wir arbeiten! … Wenn die Nazis an die Macht kommen, dann gnade uns!« wollte ich erneut anfangen.
»Hm, du bist ein sonderbar nüchterner Kauz! Ganz verrannt denkst du bloß immer in einer Richtung!« wehrte er ab. »Mensch, so ein Kaktus ist doch tausendmal wichtiger und interessanter wie dieses ganze Zeug!« Die Ladenglocke läutete. Ich ging zur Mutter hinauf.
»Jaja«, sagte die, »grad notwendig haben sie’s jetzt mit ihrem Hitler! … Ich bin schon öfter in der Nacht aufgewacht, weil sie durchmarschiert sind. Ich hab’ beim Fenster ’nausg’schaut … Lauter so junge Spritzer sind’s. Ganz wie beim Militär geht’s zu … Hmhm, was die wieder wollen!«
»Was die wollen?« versuchte ich ihr begreiflich zu machen, »ans Ruder wollen sie und die kleinen Leut’ wieder recht schikanieren! … Und wenn sie’s Heft in der Hand haben, machen sie wieder Krieg!«
»Hm, Krieg?. . . Krieg will doch kein Mensch!« sagte sie. »G’fallen tut mir das ganze Zeug nicht!« Sie nahm den Milchkübel und wandte sich zum Gehn: »Hm, Krieg? Ist doch jeder Mensch froh, daß er wieder seine Ruh’ hat … Hmhm, ist das eine Zeit!« Sie ging zum Schatzl hinüber.
Als sie zurückkam, erzählte sie mir halblaut und eilsam, als fürchte sie einen unerwünschten Lauscher, daß der Maurus das Heiraten im Sinn habe.
»Er sagt nichts und deut’t nichts! … Ich leg’ ihm doch nichts in den Weg!« klagte sie leicht. »Hm, die Mimi will er heiraten! … Er könnt’ doch eine viel bessere Partie machen.«
Die Mimi, die jetzt schon mehrere Jahre beim Maurus arbeitete, war eine sehr stille Person. Irgend etwas eigentümlich Eingeschüchtertes lag in ihrem Wesen, und immer schien sie ein wenig traurig zu sein. Der Maurus war ein flinker, hitziger Arbeiter, mit dem nicht leicht auszukommen war. Der ewige Streit mit der Theres hatte ihm hart zugesetzt, in seiner Reizbarkeit konnte er sehr heftig und grob werden, doch Mimi war ungemein nachgiebig und verläßlich, und das wirkte stets ausgleichend. Unsere Mutter aber mochte Mimi nicht. Vielleicht fühlte sie, daß ihr durch eine solche Heirat viel genommen würde, denn sie hing in ihrer Art an dem jähzornigen Maurus. Vielleicht aber wollte sie für ihn doch eine reiche Bauerntochter, mit der man sich – wie sie sagte – »sehen lassen konnte«. Der alte bäuerliche Kastengeist war nicht erstorben in ihr, und die Mimi hatte kaum ein Vermögen, war so gar keine Person, die »was vorstellte«, und wollte auch nichts Ähnliches sein. Ihre Sparsamkeit und Bescheidenheit legte Mutter als Geiz und Falschheit aus.
»Man wird nicht warm bei ihr«, charakterisierte sie die zukünftige Schwiegertochter. »Bevor die ein Wort ’rausbringt, kriegt eine Kuh ein Kalbl.«
Nichts von alledem war ihr auszureden.
Mich erheiterte es, daß der Maurus seine Absichten so verschwieg. Ich kannte ihn zu genau. Aus einer gewissen Lust an findigen Redewendungen gebärdete er sich zuweilen als zynischer Weiberverächter und zitierte dabei Schopenhauers Auslassungen. Ich sagte nichts und wartete ab.
Er kam um jene Zeit öfter nach München, und wir verdiskutierten lange Nächte. Einmal aber, als er wieder bei mir auftauchte, hatte er ein verschmitztes Zucken um den Mund und fragte unvermittelt: »Also zwölfmal fünfunddreißig, das sind doch vierhundertzwanzig, oder?«
»Ja, warum?« fragte ich begriffsstutzig. Das störte ihn nicht.
»Und fünfmal vierhundertzwanzig, das sind zweitausendeinhundert, ja?« redete er weiter und schien ganz und gar mit diesem Rechnen beschäftigt. »Kommen noch neunhundert oder tausend Mark dazu – das sind dann runde dreitausend.«
»Ja, was willst du denn eigentlich damit?« fragte ich wiederum. Er grinste noch verschlagener und wurde ein ganz klein wenig verlegen. Arglistig beschnüffelte er mich gleichsam mit seinen flinken Augen.
»Ja, weißt du«, gestand er bäuerlich sachlich. »Ich hab’ mir das überlegt – der Mimi zahl’ ich jetzt einen Monatslohn von fünfunddreißig Mark. In fünf Jahren macht das ein ganz hübsches Vermögen … Außer dem, was ich ihr sonst noch an Essen und Trinken geben muß, ist das zweitausendeinhundert. Neunhundert oder tausend
Weitere Kostenlose Bücher