Das Leben meiner Mutter (German Edition)
zwischen den Fingern, ihre Lippen bewegten sich, und hin und wieder nickte sie ein.
In Rom war es glühend heiß. Sie fuhren durch die kochende Stadt, suchten die antiken Ruinen auf und stellten sich mit dem aufgeschlagenen ›Baedeker‹ davor. Unsere Mutter troff vor Schweiß und war unglücklicher als während der ganzen Fahrt. Unbegreiflich fand sie, warum man diese alten, umgefallenen Säulen und Mauerreste so lange besichtigte.
»Tja, was stehts denn jetzt da so lang her!« rief sie endlich, »das ist doch noch gar nicht fertig!«
Eugen und Peppi lächelten und fuhren weiter. Und wieder Hotelzimmer, wieder die fremde Umgebung, die fremden Laute und Gerüche.
Am andern Tag sah sie mit vielen Pilgern den Heiligen Vater und empfing den üblichen Segen. Als gute Katholikin rührte sie das – und in der Kirche war’s kühl, da fühlte sie sich halbwegs geborgen. Dann kam die lange, lange Heimfahrt mit all den Ängsten, den Müdigkeiten. Endlich, endlich, als das Auto wieder vor dem Kramerhaus anhielt und sie ausstieg, rief sie wie erlöst: »Das ist der schönste Moment von der ganzen Fahrerei! Gott sei Dank! Gott sei Dank, daß ich wieder daheim bin!« Sie sah auf die lachenden Gesichter und brummte: »Aber jetzt will ich meine Ruh’ haben, gell! Gefahren bin ich mir jetzt g’nug!«
Nicht lange darauf fuhr Eugen mit Frau, Kind und Studebaker wieder über den Ozean. Sicher war ihm die ganze Zeit zumute gewesen, als hätte er ein völlig fremdes Land und nicht seine Heimat besucht. Seine Heimat war Amerika geworden.
Ich hatte weder ihn noch die Seinen gesehen, obgleich Mutter es gern gehabt hätte. Unsere Feindschaft war geblieben. Einige Tage nach der Abreise »unserer Amerikaner« saß ich bei meiner alten Mutter in der Kuchl, und sie sah aus wie immer. Sie rühmte Eugens Freigebigkeit und nannte ihn »durchaus nobel«.
»Aber«, meinte sie so nebenher, »ich weiß nicht, er und die Peppi sind ganz andere Leut’ worden! Gar keinen Humor hat der Eugen. Du meinst oft grad, er plagt sich, wenn er lacht …«
Bier stand auf dem Tisch. Sie hatte Dollars bekommen.
»Ja, und wie ist’s denn dann beim Heiligen Vater gewesen, Mutter?« begann ich ein bißchen spöttisch zu fragen. »Schön, was?« Sonderbar, sie bekam ein enttäuschtes Gesicht.
»Naja, naja«, fing sie mit fast gleichgültiger Geringschätzung gemächlich zu berichten an, »jaja, soweit ist ja alles ganz schön gewesen … Arg groß ist sie, die Peterskirch’, und wo du hinschaust, Gold und nichts als Gold! … Und den heiligen Segen, jaja, den hab’ ich auch kriegt, ja schon! … Aber vorstellen tut er nicht recht viel, unser jetziger Papst!« Mit ihrer ausgestreckten Hand deutete sie dessen ungefähres Körpermaß an. »Wie groß wird er sein? … So groß vielleicht! Größer ist er ganz g’wiß nicht … Ein mitterner Mensch ist er.« Ich verkniff das Lachen und versuchte ernsthaft zu bleiben.
»Ja, aber Mutter, du versündigst dich doch, wenn du so daherred’st! Das ist doch der Heilige Vater!« rief ich mit gespieltem Vorwurf. Doch sie erschrak nicht. Sie fand durchaus nichts Unrechtes an dieser Schilderung.
»Freilich ist er heilig … Er mag ja recht religiös sein!« fuhr sie ungeschreckt fort, »aber für einen Papst sollten sie doch einen größer gewachsenen Menschen rausgesucht haben! … So ein mitternes Mannsbild, das wo nichts vorstellt! … Da ist der König Ludwig schon ein anderer gewesen … Zu dem hat man ’naufschauen müssen, so groß ist er g’wesen, aber der Papst, ich weiß nicht! … Wenn einer gar so wenig vorstellt!«
Mit aller Gewalt plagte ich mich, sie unverdächtig zum weiteren Erzählen zu bringen.
»Ja, mein Gott, der König Ludwig! Der war eben eine Ausnahme!« warf ich ein. Das wirkte. In mir gluckste es.
»Der? Der König Ludwig? … Mein Lieber, das ist ein Mannsbild gewesen! Viel größer wie jeder, breit und um und um sauber! Da hast du schon Respekt gehabt, wenn du ihn von weitem g’sehn hast. Und« – sie machte eine verbildlichende Andeutung – »solche Händ’ hat er g’habt! … Magst sagen, was du willst, zum Papst sollten s’ doch schon ein festres Mannsbild rausgesucht haben.«
Der heiligste Mensch, der Stellvertreter Gottes auf Erden mußte nach ihrer Meinung auch körperlich jeden überragen. Dieses Bild, das sie sicher ihr Leben lang in ihrer frommen Seele getragen hatte, war nunmehr durch die profane Wirklichkeit zerstört worden. Darüber konnte ihr
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