Das Leben meiner Mutter (German Edition)
schlichtes Herz nicht schweigen. Doch ihr einfacher Glaube wurde dadurch nicht erschüttert.
Gott allein war groß. –
Der Maurus wurde immer unternehmender. Er verbesserte die Ausstattung seines Kaffeehauses und legte überall Lautsprecher an. Voll Neid beobachtete Theres dieses geschäftliche Aufblühen. Sie hatte sich ganz in sich verkrochen. Ihr starrer Eigensinn und ihr Mißtrauen nahmen zu, und da sie nie eine Zeile las, nie dem Radio zuhörte und eng und bissig dahinlebte, hatte unsere Mutter keine guten Tage bei ihr. Sie brummte beständig in sie hinein und unterschob dem Maurus die bösesten Absichten. Der aber hatte ganz andere Sorgen und andere Freuden. Er las wie immer sehr viel, diskutierte oft nächtelang mit mir über Literatur, und zu ihm kamen jeden Sonntag zahlreiche Gäste aus München, die allerhand Anregung brachten. Sie rühmten seine guten Kuchen und den Kaffee, fanden es gemütlich bei ihm, wurden oft recht lustig und fragten allerhand.
»Soso, Schriftsteller ist Ihr Bruder Oskar? Jaja, ich erinnere mich. Sein Name wird jetzt öfter erwähnt«, sagte einmal ein soldatisch auftretender Mann im Garten, als das Gespräch auf mich kam. Maurus, dem das schmeichelte, wurde redseliger. Mit leichter Ironie erzählte er, daß nun sogar unsere Mutter ein Buch von mir gelesen habe, weil ihr der Pfarrer gesagt habe, ich sei »ein ordentlicher Bücherschreiber, auf den sie stolz sein könne«. Die Mutter, durch dieses Lob verlegen geworden, lächelte dünn. Der fremde Mann musterte sie mit geringschätziger Herablassung und fragte weiter: »Und im Krieg war Ihr berühmter Sohn auch, was, Frau Graf?«
»Ja, schon, der Oskar, der Maurus und der Maxl sind im Krieg gewesen. Der Maxl ist gefallen«, erwiderte sie.
»Hm, jaja, im Krieg war er auch, der Oskar«, ergänzte der Maurus lächelnd, »aber er hat ihn nicht mögen. Er hat einfach den Befehl verweigert … Er erzählt das sehr drollig in seinem Buch … Das müssen Sie lesen.«
»Soso, hm! Das interessiert mich«, sagte der Mann, erkundigte sich genauer nach dem Buch, bezahlte, stand auf, schlug die Hacken zusammen und verabschiedete sich. Als sein Auto den kleinen Dorfberg hinuntersurrte, sagte die Mutter zum Maurus: »Du mußt doch nicht jedem sagen, was der Oskar im Krieg gemacht hat.« Neugierige Fremde waren ihr am zuwidersten, denn sie suchten immer nur Abträgliches auszukundschaften.
»Ah!« wehrte der Maurus ab, »der interessiert sich doch bloß für die Bücher vom Oskar!«
Die Hitlerpartei war längst wieder erlaubt. Der fremde Herr kam öfter, machte bei Maurus einen kurzen Besuch und fuhr dann in der Gegend herum. Er tauchte in den verschiedenen Wirtshäusern auf, machte reichliche Zechen und hing dann ein Propagandaplakat der Nazis an die Wand.
In meinem Wohnviertel in München hielten die Hitlerleute wöchentlich in der »Schwabinger Brauerei« eine Versammlung ab. Ein Redner nannte einmal unter anderm meinen Namen und drohte: »Wir haben jeden notiert! Keiner kommt uns aus! Die Burschen, die sich im Krieg gedrückt haben und daheim bei der roten Revolution mitgemacht haben, die kommen zuallererst an den Galgen!« In dem Haus, in welchem ich wohnte, waren Tag für Tag frische Hakenkreuze an die Wände gemalt. Wenn ich nach Berg fuhr und die Leute fragte, ob sie denn für den Hitler seien, lächelten sie schief und meinten verächtlich: »Ah, der? … Der schreit bloß noch mehr wie die andern. Ist ein Schwindel wie der andere!«
Warum sie denn dann die Naziplakate hängen ließen, forschte ich weiter. Und wieder sagten sie: »In jeder Wirtsstube hängt doch lauter so Zeug! Das schaut doch kein Mensch an! Wer wird sich denn für so politische Sachen interessieren!«
Auf den Gartenzäunen und Hauswänden, an Bäumen und Telegraphenstangen tauchten immer mehr kleine antisemitische Klebezettel auf. Das Hakenkreuz drang – ohne daß sie es merkten – in die Hirne der Landleute.
Ich machte Spaziergänge mit der Annamarie, und wir rissen die Zettel ab. Heimkommend, zeigte ich sie Maurus und wollte diskutieren. Der aber haßte das Politisieren und zeigte mir seine neuesten Kakteen, die er in der letzten Zeit leidenschaftlich liebte.
»Da, das mußt du dir einmal genauer anschauen«, rief er, »ist das nicht weit interessanter als der ganze politische Schmarren, wie so eine Pflanze nach und nach eine ganz sonderbare plastische Form kriegt? … Neulich hat mir einer erzählt, daß auch der alte Goethe ein Kakteenzüchter war!
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