Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Anlegesteg, und der Gastl wurde Stegwart.
Der Sommer brach diesmal schnell herein und zeitigte eine pralle Ernte. Nach dem erfolgreichen Krieg regte sich das Leben ebenso voll, so prall und zuversichtlich. Es verbreitete sich allenthalben die Meinung, daß der König durch sein Zusammenfechten mit den Preußen recht gewinnreich spekuliert hatte. Er aber zeigte überhaupt keinen politischen Ehrgeiz mehr, lebte noch einsiedlerischer und ließ seine Minister regieren. Er kümmerte sich nur noch um die Verwirklichung seiner Baupläne, die nach und nach ungeheure Dimensionen annahmen. Seine Verschwendungssucht war ebenso sinnwidrig wie maßlos. Das Land war reich und gab viel her, aber er wollte mehr. Er duldete keine Beschränkung. Noch immer kam er unangesagt und plötzlich in die Hauptstadt und ließ sich in seinem Theater allein eine Wagner-Oper vorspielen. Niemand als die unmittelbar Beteiligten durften davon Kenntnis haben. Sorgfältig und in immer veränderter Auffassung wurden diese Musikdramen aufgeführt. Die Kulissenschieber trugen Filzpantoffeln, das Theater war in Finsternis und Schweigen gehüllt, auf ein Zeichen, das seine Ankunft ankündigte, begann die geisterhafte Vorstellung. Noch in derselben Nacht verließ Ludwig die Hauptstadt ebenso unbemerkt, wie er gekommen war. Obgleich er immer noch, unbegreiflich bezaubert davon, an Wagners Musik hing und dem fernen Freund empfindsam verstiegene Briefe schrieb, er war in diesen wenigen Jahren doch ein anderer geworden. Seine alte Liebe zu den Bourbonen war wieder mit fast erschreckender Macht in ihm erwacht. Er bildete sich nun ein, ein direkter Nachfahr des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zu sein und versuchte es ihm gleichzutun. Die Schwäne und Rittergestalten aus den Wagneropern verschwanden aus den Ornamenten, die bourbonische Lilie trat ihr Erbe an. Er führte die überladene, gespenstische französische Hofetikette ein, und alle seine Bauten hatten einen solchen Stil.
Kurz vor dem Krieg war vieles, das er begonnen hatte, ins Stocken geraten. Sogar die Landleute munkelten davon. Arglos fragte die Heimrathin den Wolfratshausener Oberwachtmeister einmal in jener Zeit, ob es denn wirklich wahr sei, daß der König kein Geld mehr habe. Der Oberwachtmeister stutzte und sagte schließlich herablassend zurechtweisend: »Was red’st du denn da, Bäuerin!? So was geht dich doch nichts an! Glatt müßt’ ich dich da wegen Majestätsbeleidigung mitnehmen!«
»Ja, man fragt doch bloß, ob’s wahr ist?« meinte die Bäuerin. Da wurde der Wachtmeister ärgerlich und fuhr sie streng an: »Das Maul halt, zum Teufel hinein! … Das kann dich doch Kopf und Kragen kosten! Majestät sein und kein Geld haben? Begreifst du denn nicht, daß das ein Unsinn ist! Wer so was sagt, dem kann’s schlecht gehen!« Die Heimrathin trat kopfschüttelnd in die Kuchl und brummte vor sich hin: »Hm, es muß also doch was dran sein! Der Kastenjakl hat’s doch gesagt, daß der König nimmer weiterbauen kann. Wenn schon bei Hof kein Geld mehr da ist, mein Gott!«
»Was?« fragte die Resl, die eben das kochende Saufutter vom Herd herunternahm.
»Ah nichts, unserm König geht’s schlecht«, meinte die Heimrathin.
»Warum? Ist er krank? Was fehlt ihm denn?« wollte die Resl wissen.
»Ah, krank nicht. Geld soll er keins mehr haben«, gab die Bäuerin zurück, und da hielt die Resl erstaunt inne und sagte: »Was, der König? Der kein Geld mehr? Das gibt’s doch gar nicht!«
»Ich versteh’s auch nicht«, schloß ihre Mutter.
In Aufhausen wurde während der ganzen Kriegszeit viel über den »armen König« gesprochen. Stets hieß es dabei, nur die schlechten Preußen und der Bismarck hätten ihn ins Unglück gebracht, und heimlich betete wohl der oder jener von den Heimraths, daß es ihm bald besser gehen möge.
Diese Ungewißheit war nun vorüber. Nicht nur dem Kastenjakl kam es so vor, es spürten’s förmlich alle Menschen im weiten Gau: Der Goldstrom bei Hof floß wieder überreichlich. »Es rührte sich wieder was«, wie die Leute sagten, denn fühlbarer Reichtum wirkt allenthalben belebend auf die Gemüter. Niemand wußte, woher das viele Geld so plötzlich gekommen war. Die meisten meinten eben, der siegreiche Krieg habe es gebracht, aber es war da, und das war gut, wen sollte seine Herkunft schon bekümmern? Höchstenfalls einige unversöhnliche, treu welfisch gesinnte Hannoveraner, deren ehemaliges Königreich Bismarck nach 1866 – wie die unauffälligen damaligen Berichte
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