Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Menschenantlitz trug. Da er aber nie klagte und meist lustig zu sein schien, kam er mit jedermann gut aus, und die Leute hatten ihn nicht ungern. Zudem erwies er sich in manchen Fällen als äußerst brauchbar. Er wußte Bescheid in Rechts- und Geldangelegenheiten, kurierte erfolgreich Vieh und Mensch und fand faßbare Erklärungen für manches, was der Tag und die Zeiten mit sich brachten. Allzuviel wollte freilich niemand mit ihm zu tun haben, und keiner nahm ihn und das, was er tat, besonders ernst. Doch den Kastenjakl focht das nicht an. Wo hätte er mit einer solch nutzlosen Empfindlichkeit hinkommen sollen? Wahrscheinlich nur wieder in das gleiche Elend, das seinen Bruder Lorenz seit eh und je bedrückte.
»Ein armer Mensch ist doch nicht geschätzt!« sagte er oft und oft zum Stellmacher und erklärte weiter: »Wir müssen hinauf, ganz gleich wie, verstehst du? Ah, ich weiß ja, das hörst du nicht gern! Davon willst du nichts wissen, jaja! Aber treibst du was anderes als ich? Du spielst in der Lotterie – ich halt’ mich an reellere Sachen … an den König, an die feinen Herrschaften. Die bringen den Segen zu uns … Hinauf müssen wir, Lorenz! Bloß vor dem hat man Respekt, der’s zu was bringt. Wie er dazu kommt, das geniert nicht. Mich geniert’s überhaupt nicht, und die Leute – ah, mach dir doch nichts vor! –, die sehn uns erst für voll an, wenn wir soweit sind wie sie!«
Das war nicht gelogen von ihm. Er handelte danach. Er übersah nicht die geringste Kleinigkeit und berechnete alles. Kein Wunder, er mußte manchmal recht krumme Wege gehen, und darum war es ihm ganz angenehm, als Mensch angesehen zu werden, der nicht über einen vollgültigen Verstand verfügte. Dadurch fielen seine mitunter gefährlichen Machenschaften weniger auf, und er konnte sich manches erlauben, was einem anderen bitter verargt worden wäre.
Es ging auf und nieder mit dem Kastenjakl, schroff veränderte sich seine Lage oft, zu guter Letzt aber fand er doch immer wieder einen gangbaren Ausweg. Zur Überraschung aller, die ihn kannten, hatte er unmittelbar nach seiner Verheiratung – scheinbar sinn- und zwecklos – auf ein Grundstück am See-Ufer, das den Hupfauers gehörte, ein herrschaftliches Landhaus bauen lassen und dabei sein ganzes Bargeld geopfert. Das soll, wie erzählt wurde, der alten Hupfauerin das Leben gekostet haben; denn sie hatte sich mit aller Kraft vergeblich dagegen gewehrt und ihren Schwiegersohn überall als niederträchtigen Erbschleicher bezeichnet. Man wollte sogar wissen, die alte Bäuerin und der Kastenjakl seien deswegen einige Male handgemein miteinander geworden. Wie dem auch gewesen sein mochte, jedenfalls erstand das »Seewiesenhaus« in Leoni, einem kleinen Uferort südlich des Berger Schlosses, nach Andreas’ eikaufte es der Schriftsteller Wilhelm Hackländer für einen Preis, der das Doppelte der Gestehungskosten ausmachte. Die Leute begriffen rasch, was der Kastenjakl im Sinne gehabt hatte, und – wie das stets zu sein pflegt – sichtbarer Erfolg übertüncht sehr schnell die dunklen Flecken auf dem Charakterbild eines Menschen. Insgeheim bekam man Respekt vor dem weitsichtigen Maxhöher. Bald verstummten die üblen Nachreden wegen der Hupfauerin. Leoni nämlich, das so geheißen wurde, weil vor Jahren ein italienischer Kammersänger gleichen Namens sich direkt ans Ufer eine pompöse, aufdringlich beherrschende Villa hatte bauen lassen, war schon lange ein begehrter Fremdenort. Schroff dahinter stieg eine fast senkrecht steile Hügelwand – halb Wiesengrund und halb Laubwald – empor, welche auf ihrer Höhe flachen Feldern Raum gab, die sich nach kurzer Unterbrechung wieder hügelan bis nach Aufkirchen hinaufzogen. Südwärts des Hochplateaus, wieder auf einem dunkelbewaldeten Hügel, lag der herrliche Besitz des in den fünfziger Jahren verstorbenen berühmten Malers Karl Rottmann, dessen Erben schon lange einen Käufer dafür suchten, und die das weitläufige, flachdachige, an das Versailler Königsschloß gemahnende Gebäude langsam verwahrlosen ließen. In Leoni, im gastfreien Haus des kunstsinnigen Baumeisters Himsel, verbrachten viele Maler wie Wilhelm Kaulbach und Moritz von Schwind den Sommer und schmückten zum Dank die Fassade dieses Hauses mit schönen, farbenreichen Fresken. Nur zwei Fischer, der Schropp und der Gastl, waren alteingesessene »Leoniger«. Als in den sechziger Jahren das erste Dampfboot den Starnberger See befuhr, bekam der Ort einen
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