Das Leben meiner Mutter (German Edition)
besagten – samt dem Millionenschatz der Welfen Preußen einverleibt hatte. Wer wußte überhaupt, wo Hannover lag, und Bismarcks Ansichten waren nicht recht viel anders als diejenigen des Kastenjakl, der gesagt hatte: »Bloß vor dem hat man Respekt, der’s zu was bringt. Wie er dazu kommt, das geniert nicht.« Die Leute hatten schon richtig geraten: zu Anfang des Jahres 71 war es um die Finanzen des Bayernkönigs sehr schlecht gestanden. Alle kargen Einkünfte des Landes fraß der Krieg. Ludwig wurde ärgerlich, die Siege interessierten ihn nicht, all seine Pläne schienen zunichte, und verbittert zog er sich in die Einsamkeit zurück. Als Bismarck die Wahl des Preußenkönigs zum Deutschen Kaiser vorschlug, lehnte sie Ludwig anfänglich ungewöhnlich schroff ab. Da griff Bismarck tief in die streng geheim gehaltene Schatzkasse des »Welfenfonds«, und überraschend schnell trat eine Sinnesänderung bei König Ludwig II. ein. Er hatte seine langgesuchten Millionen für die geplanten und begonnenen Bauten, und der Kanzler die huldvoll königliche Einwilligung zur Kaiserwahl. In der Tat, jetzt »rührte sich wieder viel«. Eine Zeit war angebrochen, wie geschaffen für den unternehmungshungrigen Kastenjakl. Er lobte den Krieg und den Frieden, ja sogar den ungeliebten Bismarck, am meisten jedoch rühmte der den großzügigen König.
»Für uns ist das alles bloß gefundenes Kapital, Lorenz«, sagte er oft zu seinem Bruder. »Wir geben nichts dazu, aber wir nehmen davon, soviel wie wir erwischen.« Der mürrische Stellmacher konnte das nicht begreifen. Sein Maxl lag wie viele andere als Kriegsverletzter mit einer durchschossenen, steif gewordenen Hand in Bad Aibling und kämpfte hartnäckig um eine kleine Pension. Sein zweiter Sohn Lorenz war kurz vor dem Friedensschluß zum Militär eingezogen worden und konnte nicht mehr in der Werkstatt mithelfen. Zwei Töchter hatten sich, Gott sei Dank, schon verheiratet und waren in die Stadt gezogen, doch die anderen zwei und der Zwerg lebten noch daheim und konnten bei allem guten Willen die Not nicht geringer machen.
»Ich spür’ nichts von Kapital und Segen«, brummte der Stellmacher seinen Bruder an und stand von der Schnitzbank auf. »Bei uns bleibt’s gleich und gleich.« Er hatte den vorwitzigen Andreas nie leiden mögen. Unvergeßlich war ihm, wie zynisch und gewissenlos er sich an die Hupfauertochter herangemacht und deren Geld und Hof an sich gerissen hatte. Der Lorenz Graf war ein starrer, stolzer Mann, und jede Hilfe seines Bruders hätte er abgelehnt. Tief im Innersten aber kränkte es ihn doch bitter, daß Andreas noch nie auf einen solch naheliegenden Gedanken gekommen war. Er tauchte nur ab und zu auf, redete von allen möglichen Plänen und machte zwischenhinein böse Witze.
»Du schwatzt daher, es geht vorwärts! Jaja, ich seh’s! Meine Rechen und Gabeln sind jedem zu teuer. Die Bauern gehn nach Starnberg und Wolfratshausen und kaufen eiserne, die in der Fabrik gemacht werden. Das ist der Segen für mich!« sagte der Stellmacher wiederum verdrossen. Er ließ den Kastenjakl stehen und ging in die Stube. Der blieb eine ganz kurze Weile mit leicht betroffener Miene auf dem Fleck, dann tappte er aus der Werkstatt.
Es war tief am Nachmittag. Langsam neigte sich die glühheiße Sonne auf das westliche See-Ufer zu. Auf allen Feldern standen hohe Getreidefuhren. Die unruhigen Ochsen und Rösser davor wehrten sich mit Schwanz und Füßen gegen die lästigen Stechfliegen. Auf jeder Fuhre hockte eine Magd oder sonst ein Weibsbild und fing die mächtig volle Gabel, die der Knecht heraufschwang, auf, ordnete die Garben und drückte sie fest nieder. Der Kastenjakl grüßte hin und wieder und sagte etliche beiläufige Worte. Auf der Wegkreuzung, wo die Straße und der Weg, der von Leoni nach Aufkirchen führt, sich überschneiden, blieb er stehen, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und hob einen Halm vom Boden auf. Er zerrieb die volle Ähre und schrie den Heimraths zu: »Recht viel wert ist das Korn nicht. Der windige Sandboden gibt nichts her!« Die Resl, die auf der hohen Fuhre einhielt, grüßte herüber, und der Much-Girgl spöttelte: »Jaja, dafür wachst auf deinem lumpigen Grund recht viel!« Alle wußten, daß der Kastenjakl seine paar Äkker ziemlich verwahrlosen ließ und nur den Knecht und die alte Pflegerin vom nahen Siechenhaus aufs Feld schickte. »Für mich ist’s Sach’ genug!« gab der Andreas grinsend zurück. »Aber bei euch ist’s
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