Das Leben meiner Mutter (German Edition)
drunter und drüber, und dadurch lasse sich der Friede jetzt leicht machen, jedes Mannsbild komme heim.
»Gott sei Dank!« sagte die Heimrathin aufatmend, als der Girgl erzählte, und sie setzte angebittert dazu: »Wenn er noch lang gedauert hätt’, der Krieg, weiß Gott, was da bei uns noch alles passiert wär’! Froh bin ich, daß wieder Mannsbilder ins Haus kommen! Mit dir allein ist nicht viel aufgesteckt!« Der Girgl machte eine ungewisse Miene. Es mochte ihm wohl durch den Kopf gehen, daß er nun, wenn wieder Knechte auf den Hof kämen, überflüssig sei und in den Vilz zurück müsse. Was ihn dort erwartete, ließ sich leicht erraten. Die Resl schaute auf ihn und sagte auf einmal fast bittend zu ihrer Mutter: »Aber der Girgl wird doch bei uns bleiben, oder?« Einige Sekunden wurde es zwischen den dreien stockstumm, dann aber nickte die Bäuerin und sagte in weit besserem Ton: »Jaja, Girgl! … Alte Leute wegjagen, das hat noch keinem Menschen Glück gebracht.« Der Girgl schluckte und brachte kein Wort mehr heraus. Er hatte ein noch verlegeneres Gesicht bekommen. Ein paar Mal zwickte er die Augen zu. Dann dankte er schließlich bewegt: »Vergelt’s Gott, Bäuerin!« Er lugte fast schüchtern auf die Resl und rief freier und beruhigt: »Und du, Resei – dir soll’s deiner Lebtag gut gehn!«
Ein windiger, regnerischer April tobte sich auf den keimenden Fluren aus. Die noch laublosen Obstbäume bogen sich im Sturm. Ihre Äste schlugen aufeinander, als schüttelten sie das letzte Frieren ab. Langsam sprossen zarte Blättchen und Knospen auf. Endlich durchbrach die siegreiche Sonne der ersten Maitage die Wolkendecke des unruhigen Himmels, gleichmäßig grün wurden die Felder und Äcker, und in den aufblühenden Bäumen und Büschen sangen die Vögel mit erfrischtem Wohlklang.
Um die Monatsmitte war wieder einmal ein feierliches Hochamt in Aufkirchen, bei welchem die ordensgeschmückten Würdenträger des Berger Schlosses anwesend waren. Der Pfarrer verkündete, daß in Frankfurt der Friede geschlossen worden sei. Zwar mußten die feinen Herrschaften aus Berg noch immer ihr ›Deutschland, Deutschland über alles‹ allein singen, aber das ›Tedeum‹ am Schluß des Hochamtes klang mächtiger als je in der hohen Kirche. Einige Berger, die in der Hofgärtnerei arbeiteten, erzählten von dem, was sie durch königliche Diener und Beamte erfahren hatten. Der König sei in München bei den Siegesfeierlichkeiten auf einem Schimmel vor den zurückkehrenden Truppen erschienen und ungeheuer bejubelt worden. Wunderbarer als irgendwann habe er ausgesehen, aber er sei allen Banketten und Festlichkeiten, die unter großem Kostenaufwand ihm zu Ehren vorbereitet worden waren, ferngeblieben und sofort wieder nach Berg zurückgekehrt. Weiß Gott, was ihn wieder verdrossen habe. Er sei mürrisch und düster. Die Leute hörten ziemlich gleichgültig zu. »Er hat den Krieg nie mögen und wird auch froh sein, daß er aus ist! Er will eben seine Ruh’ haben!« sagte der Schmied von Farchach, und viele nickten. Es schien ganz ihre Meinung zu sein. Auch in ihr Leben hatte der Krieg nie gehört. Sie waren sichtlich erleichtert darüber,, daß er ihre friedliche Arbeit nicht mehr störte. Schon während des Heimgehens vergaßen sie, was gewesen war, so fern lag es ihnen.
Das Leben bekam wieder sein ruhiges, gewohntes Gesicht. Und als sei alles nur ein düsterer Traum gewesen, als habe sich im Grunde genommen nichts verändert – auch die königliche Karosse, die man lange Zeit nicht mehr zu sehen bekommen hatte, hielt nun wieder regelmäßig in Aufhausen an. Der Girgl kam öfter zu einem blanken Taler, und auch die Resl reichte etliche Male dem Stallmeister Hornig das frische Wasser für den bleichen, schwarzbärtigen, ernsten königlichen Herrn. Viel später ließ sie die drei Silberstücke, die sie dafür erhalten hatte, vom Wolfratshausener Goldmacher zu einer Brosche fassen und trug sie bis an ihr Lebensende bei feierlichen Anlässen …
Veränderungen
Einer, der ganz abseits stand, hatte schon lange gesehen, gespürt und gleichsam gerochen, daß die Zeit nicht stehengeblieben war, daß die großen Ereignisse das kleine Leben der Menschen in dieser Gegend und das Gesicht ihrer Landschaft ungeahnt wandeln mußten: der Andreas Graf, den die Leute wegen seiner unbegreiflich waghalsigen Grundstücksspekulationen und wegen seiner fast anrüchig erscheinenden Baulust den »Kastenjakl« nannten. Die Bezeichnung mochte
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