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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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vielleicht auch davon herrühren, weil der Andreas früher einmal, als er noch nicht verheiratet war, einige vielbewunderte Schränke angefertigt hatte, bei welchen nach dem Absperren der Schlüssel von selbst verschwand, so daß nur derjenige, welcher das Geheimnis des Mechanismus erfuhr, wieder öffnen konnte.
    Im Gegensatz zu seinen ellenlangen Brüdern und Schwestern war der Kastenjakl kaum etwas über ein und einen halben Meter groß, keineswegs so eckig, breitschulterig und langsam wie sie,, aber kräftig und behende, stets lebhaft, geschwind begreifend und ebenso rasch handelnd, voll seltsamer Ideen und begabt mit einem boshaften, oft ätzenden Witz. In seinen jüngeren Jahren hatte er noch etwas darauf gegeben, durch ordentliche Kleidung und gute Haltung Eindruck zu machen, nun legte er schon lange keinen Wert mehr darauf. Er trug an Sonntagen zum Kirchgang, oder wenn er es sonst für nötig hielt, den langen, enganliegenden blauen Tuchmantel mit den Silberknöpfen, und seine derben, kurzen Stiefel waren dann blank gewichst. Im allgemeinen aber sah man ihn nur im abgeschabten, vernachlässigten Werktagsgewand aus festem dunklen Stoff, dessen eigentliche Farbe nicht mehr zu erkennen war. Er ging ein wenig nach vorne gebeugt und machte kleine, schnelle Schritte, wobei der Eindruck aufkam, als bewege sich sein ganzer Körper unablässig. Sein gedrängtes, vielfurchiges Gesicht mit der kurzen, gesattelten Knorpelnase, den etwas geschlitzten grüngrauen Äuglein und dem wirren Schnurrbart durchlief beim Denken, Sprechen und Verhandeln alle Wandlungen des Ausdrucks, dennoch blieb der Kastenjakl immer gewaffnet und unverblüffbar. Er liebte die Menschen nicht, aber er suchte sie beständig. Er brauchte sie wie der Bauer den Pflug, wie der Soldat das Gewehr. Schon nahe an den Fünfzig hatte er seinerzeit die einzige, grundhäßliche Hupfauer-Tochter von der »Maxhöhe« überraschend schnell geheiratet. Die Hupfauer-Geschwister waren alle kränklich und nacheinander weggestorben. Eng, scheu und stumpfsinnig wirtschafteten die Annamarie und ihre eisgraue Mutter weiter. Ihre östlich von Aufkirchen gelegene, versteckte Einöde war ein ziemlich unansehnliches Gehöft, zwar vernachlässigt, aber schuldenfrei. Niemand in der ganzen Pfarrei beachtete die Maxhöher. Der Andreas tauchte öfter bei ihnen auf und half beim Einernten mit. Eines Sonntags kam er ins Stellmacherhaus nach Berg zurück und war gut gelaunt.
    »Lorenz«, sagte er verborgen hämisch zu seinem Bruder, »du wirst auch froh sein, wenn ich endlich beim Teufel bin, oder? … Notschnapper sind keine guten Freund’ zueinander, und sie haben auch recht.« Über sein Gesicht huschte ein leichtes Grinsen. Der schwarze Peter, der damals noch vollsaftig lebte, der Stellmacher und sein Weib, das dem Zwerg die Milchbrocken eingab, schauten ihn fragend an.
    »Ich heirat’ nämlich jetzt. Ein Goldfischl hat an’bissen, zappeln tut’s auch und gar lang wird’s mir nicht bleiben«, meinte der Andreas und erzählte, daß er mit der Hupfauer-Annamarie einig geworden sei. »Und«, setzte er abgebrüht dazu, »die Alte pfeift auch schon auf’m letzten Loch.« Solche Töne gefielen dem schwarzen Peter. Er nickte und sagte: »Respekt, Anders, Respekt! Diable, die Bataille ist grandios! Fegt den Feind radikal weg! Grandios! … Und bei uns wird ein Brotfresser weniger!« Der Stellmacher aber furchte ein paarmal die Stirn. Dann sagte er trocken: »Naja, du mußt ja wissen, was dir gut tut, Anders, … mich geht’s nichts an.« Der Zwerg plapperte blöde, weil die Stellmacherin vergessen hatte, ihm die Milchbrocken weiter einzugeben.
    Wie der Kastenjakl überlegt hatte, so ging die Rechnung aus. Die alte Hupfauerin starb noch im selben Jahr, und nach wiederum ein und einem halben Jahr war er Witwer auf der Maxhöhe. Pläne hatte er, immer neue Pläne, und was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, das führte er stets mit behutsam wägender List und großer Beharrlichkeit durch. Herz schien er wenig zu haben. Rührung war ihm fremd, und noch in Trauer und Schmerz vergaß er den Spott nicht, doch er wog genau ab, wen er vor sich hatte. Mit wem er auch zusammentraf – ob zufällig oder in Geschäften –, er fand immer das richtig betonte, gewinnende Wort, um den anderen gesprächig zu machen und geschickt ausforschen zu können. Vielleicht war er im Innersten ein haßtiefer Feigling, vielleicht verachtete er aus einem nicht erhellbaren Grunde alles, was

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