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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Und, was glaubst, was er jetzt ist, der Hans?«
    Sie hat sich umgedreht.
    »Was denn?« fragte der neugierig gewordene Maxl.
    »Kammerdiener ist er jetzt, der Hans!« antwortete die Stellmacherin und erzählte kopfschüttelnd weiter: »Hm, und hat doch nie so was gelernt! Taugt doch überhaupt zu nichts, der Hans! Kammerdiener beim König! Hast jetzt schon so was gehört!« Das klang wirklich verblüffend.
    »Hmhm, Kammerdiener? Der Hans – königlicher Kammerdiener?« brümmelte auch der Maxl.
    Sein Nachbar, der Johann Baur oder, wie man ihn nach dem Hausnamen bezeichnete, der Schmalzer-Hans, war fünf Jahre älter als der Maxl. Er lebte seit dem Tod seiner Eltern mit seinem jüngeren Bruder Franz auf dem heruntergewirtschafteten Anwesen, das einmal nicht das unansehnlichste in Berg gewesen war. Der Franz arbeitete wenigstens und zeigte überall die rechte Vernunft, der Hans aber war nichts als ein fauler Taugenichts und Wirtshaushocker, der sich weiß Gott was einbildete. Da er der Ältere war, redete er auch das große Wort im Haus. Es gab oft Streit zwischen den Brüdern, wobei sich stets zeigte, daß der Hans das schlagfertigste Mundwerk hatte und auch sonst seinen Mann stellte. Der Franz kam nicht auf gegen ihn. Im übrigen gab er auch deswegen nach, weil ihm der Hans das Heiratsgut gleich am Anfang auf Heller und Pfennig ausbezahlt hatte. Seit jeher schien er sich’s leicht zu machen, der Hans: er verkaufte einfach einen Acker und eine Wiese und schließlich den Holzschlag, der zum Haus gehörte. Das ihm übrigbleibende Geld verbrauchte er nach eigenem Gutdünken. Zum Ärger der Leute tauchte er oft mitten am Werktag im Sonntagsgewand auf, ging nach Starnberg, zum Wiesmaier oder zum Klostermaier und kam spät in der Nacht mit einem Rausch zurück. Sein Wahlspruch war: »Man muß das Geld ausgeben, solang man lebt. Als ein Toter hat man nichts mehr davon!« – Er war ein mittelgroßer, schlanker und schmucker Bursch und verstand sich anzuziehen, wenn er zur Kirche oder auf einen Ball ging. Die jungen Bauerntöchter hatten ihn gern, und es wäre ihm nicht schwer gefallen, die eine oder andere zu heiraten. Doch er tat nie dergleichen. Er blieb lieber ledig und für sich. Er war keck, witzig, und zuweilen hatte sein unverfrorener Leichtsinn sogar etwas Anziehendes. Im Gegensatz zu allen anderen Männern ging er stets glatt rasiert, und sein strohblondes Haar war sorgfältig gekämmt. Das runde, faltenlose, viel jünger aussehende Gesicht mit den von dunklen Brauen beschatteten, großen blauen Augen machte besonders auf die Herrschaften Eindruck, und es hatte wahrscheinlich auch dem König gefallen. Die Einfälle des hohen Herrn waren ja weit bekannt. Er wurde immer sonderbarer. Beim Wiesmaier tuschelten die Hofleute mitunter gewichtig und schauten scheu umher, ob niemand zuhöre. Die Landleute indessen liebten den Monarchen, der jetzt dichtbärtig, fett und ungeschlacht geworden war, immer mehr. Alles Unfaßbare seiner Persönlichkeit zog sie geheimnisvoll an und steigerte ihre Ehrfurcht: sein rätselhaft zurückgezogenes, sprunghaftes Leben, die furchteinflößende Unberechenbarkeit seiner Majestät, seine riesige, imponierende Gestalt und nicht zuletzt die merkwürdig anziehenden Augen in dem krankhaft bleichen, schlaffen Gesicht. Es war meistens düster, dieses Gesicht, aber wenn es bei Begegnungen mit Bauern ungezwungen lachte, dann schien niemand diesem Zauber entgehen zu können. Ja, viel wurde geredet, allerhand Geschichten gingen um, und die Bauern sahen betroffen, wie der König bei einer Ausfahrt vor einer Eiche im Hof vom Huber anhalten ließ und den Baum feierlich grüßte. Scheu zogen auch sie den Hut. Manche bekreuzigten sich auch, wenn die Karosse weiterfuhr. Aber es war für sie unmöglich, sich vorzustellen, daß dieser gleichsam überirdische Mensch wegen einer Geringfügigkeit Tobsuchtsanfälle bekam und rohe Maulschellen oder Fußtritte unter der Dienerschaft verteilte. Das Volk liebt nur fleckenlose Wunder.
    Freilich, der Maxl dachte bedeutend nüchterner, aber er hütete sich, darüber zu reden.
    »Herrgott!« sagte er belebter, »der Schmalzer-Hans, hm! Das Glück! Hm, seltsam!« Er hielt inne und schaute sekundenlang geradeaus. Dann stand er auf, ging einige Male hin und her und rief: »Das ist ja recht geschickt für mich. Mich mag er ja gern, der Hans. Der kann mir jetzt jeden Tag das Brot fürs Schloß mitnehmen.«
    »Ja, vielleicht macht er’s«, brummte die Stellmacherin und fing

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