Das Leben meiner Mutter (German Edition)
schon wieder von etwas anderem an. Ein Viehhändler sei dagewesen, erwähnte sie nebenher.
»Er ist der Jud’ Schlesinger, hat er gesagt … Er muß von weit herkommen«, fuhr sie fort und setzte dazu: »Gefragt hat er, ob wir eine Kuh brauchen … Eine Kälberkuh hätt’ er.« Gleichgültig sagte sie es hin.
»Und was hast du gesagt?« fragte der Maxl gespannt.
»Hm, ich? Wir haben kein Geld, hab’ ich gesagt! Was denn sonst!« warf die Stellmacherin grämlich hin.
»Herrgott! Dumm, so was! Hm!« fuhr der Maxl ärgerlich auf, denn er hatte vor einiger Zeit gehört, daß der »Jud’ Schlesinger« Kühe auf Abzahlung hergebe und überall als reell gelte.
»Was denn? Was ärgert dich denn da?« brummte die Stellmacherin erstaunt.
»Wir brauchen doch Vieh, Mutter! Wir müssen eins haben!« rief der Maxl und meinte, mit dem »Jud’ Schlesinger« sei so ein Geschäft leicht zu machen.
»Ja, hast denn du Geld dazu?« fragte seine Mutter und musterte ihn.
»Geld? Hm, es kommt drauf an! Wann kommt er denn wieder, der Schlesinger?« erkundigte sich der Maxl.
»Er hat nichts weiter gesagt als, er schaut einmal wieder vorbei«, erwiderte die Alte.
»Hoffentlich bin ich dann da!« schloß der Maxl. Seine Mutter hatte sich wieder zum Herd gewendet und schüttelte stumm den Kopf. Die Stasl kam zur Tür herein. Die Kathl konnte auch nicht mehr lange ausbleiben. Es dunkelte schon vor den Fenstern. Würzig roch die gezwiebelte Brotsuppe. Die Stellmacherin stellte die dampfende Schüssel auf den Tisch.
Als der Lorenz viel später von Starnberg heimkam, erzählte er, daß der Rambeck Auftrag erhalten habe, große Holzflöße für das Berger Seefest zu liefern.
Der selige Wahn und die robuste Wirklichkeit
Selbst wenn man die verschiedenen Äußerungen ihrer jeweiligen Veranlagung und die vielfältigen Umstände, unter welchen sie leben, in Anrechnung bringt – im großen ganzen scheint es doch, als gäbe es nur drei Arten von Menschen: jene, die sich – stets gegenwärtig – mit einer gewissen stumpfen Demut der Wirklichkeit unterwerfen, nur ihre Erscheinungen begreifen und weder fähig noch willens sind, ihren tieferen Zusammenhängen nachzuspüren; andere, welche sich aus irgendeinem Grund über ihre Mitmenschen heben und dem Wahn anhängen, als sei das, was sie tun, etwas ganz Besonderes, Einmaliges und Beispielgebendes, das ihre Umgebung beeinflußt und noch auf viele Nachkommen wirkt; und endlich gibt es auch solche, die vermöge ihrer glücklichen Veranlagung schnell die Fragwürdigkeit unseres Daseins erkennen, dadurch aber keineswegs untätig oder verbittert werden, sondern keck unterscheidend den seligen Wahn und die robuste Wirklichkeit in sich zu vereinen wissen, beiden stets wägend und wagend auf den ergiebigen Grund sehen und sie mit schönster Ausgeglichenheit in das jeweilige Kalkül ihrer Regsamkeit einbeziehen.
Zum Ärger des Königs, der Hofleute und der Berger fing es vier Tage vor dem Besuch der russischen Kaiserin zu regnen an. Dünn und eintönig rauschten die Tropfenmassen vom unfreundlichen grauen Himmel hernieder und trommelten dumpf auf die Hausdächer. Die Dorfstraße war aufgeweicht und zeigte große Wasserlachen. Ein schleieriger Dunst hing in der Luft. In aller Eile hatten die Bauern die Getreidebündel auf den Äckern aufgestellt und aneinander gelehnt, damit der Regen abrinnen konnte. Verdrießlich warteten sie auf den ersten trockenen Tag. Ärgerlich und brummig schaute der Maxl durch das Backstubenfenster oder er trat kurz vor die Haustüre und musterte den trostlosen Himmel.
»Herrgottsakrament-sakrament-sakrament!« fluchte er in sich hinein und tappte wieder ins Haus zurück. Jeden Tag kam die Stasl durch und durch naß vom Brotaustragen und war nicht weniger brummig als er.
»Da kannst du dir dein großes Geschäft in den Kamin schreiben!« sagte sie höhnisch zu ihrem Bruder. Er wußte nichts darauf zu erwidern. Gereizt furchte er die Stirn, kniff die Lippen unter dem Schnurrbart zusammen und schwieg. Eine kurze Weile blieb es stumm zwischen ihnen. Der Zwerg, der auf dem verfransten Kanapee hockte, brümmelte gelangweilt vor sich hin. Die Stellmacherin kochte in einem hohen Blechhafen Wäsche aus. Ein seifiger Geruch erfüllte den dämpfigen Raum. An die angelaufenen Fenster schlugen sacht die Regentropfen. Die Stasl zog ihre tropfnassen Schuhe und Strümpfe von den Füßen und nörgelte weiter: »Du und der Kastenjakl! Genau die gleichen seid ihr!« Sie wurde
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