Das Leben meiner Mutter (German Edition)
eine Münchener Tageszeitung, und einige Berger bezogen den ›Starnberger Landund Seeboten‹, der seit Kriegsende wöchentlich erschien. Er brachte amtliche und kirchliche Nachrichten und übermittelte seiner Leserschaft die Neuigkeiten aus der Umgegend und aus aller Welt. Schon wochenlang befaßte er sich mit dem bevorstehenden Besuch der russischen Kaiserin. Der launische, weiberfeindliche König war auf einmal darauf verfallen, seine frühere, so abrupt abgebrochene Beziehung zum russischen Hof wieder aufzunehmen. Niemand konnte sich erklären, was er damit im Sinne habe. Aber so unerwartete Marotten war man schon gewöhnt bei ihm. Jedenfalls betrieb man eifrige Empfangsvorbereitungen. Ein großes Prunkfest sollte in Berg gefeiert werden, und alle anderen Uferorte waren angewiesen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Die Fischer berieten über ein sogenanntes »Fischerstechen«, ein traditionelles Turnier auf dem Wasser, wobei besonders starke, gewandte Männer, an der Spitze flink geruderter Flachboote stehend, sich gegenseitig mit langen Stangen bekämpften, so lange, bis der Unterliegende in den See fiel. Ein Riesenfeuerwerk war geplant, das bei Einbruch der Dunkelheit an den Gestaden von Berg und Leoni abgebrannt werden sollte, um die hohen Herrschaften zu entzücken. Eine Unzahl mächtiger und berühmter Persönlichkeiten hatten ihre Teilnahme zugesagt. Dem Maxl brummte der Kopf, wenn er daran dachte, wie er allein das viele Brot für die beträchtlichen Gastereien fertigbringen sollte. Durch die besten Versprechungen hatte er außer der Stasl auch den Voshank, die Kathl und den Lorenz zur Mithilfe gewonnen. Die Stasl war geschickt, und ihr Zukünftiger begriff schnell die üblichen Handgriffe, der Lorenz sollte das geformte und gegorene Brot dem backenden Maxl zutragen, und die Kathl hatte sich bereit erklärt, alle vorfallenden Botengänge zu machen. Ein großer geschäftlicher Fischzug stand bevor, versicherte der Maxl. Nach einer zwar nicht mehr gefährlichen, aber doch von vielen Schwierigkeiten begleiteten Ebbe mußte durch den bevorstehenden hohen Besuch eine wahre Goldflut kommen.
Und dann?
Der Maxl dachte gleichzeitig an hundert Dinge. An die Gegenwart und die Zukunft, an die russische Kaiserin und den neuen Kunden in der Rottmannshöhe, an ein Pferd und einen Brotwagen, an einen Gesellen, den er jetzt unbedingt brauchte, an die endgültige Auseinandersetzung mit der Stasl, und zuletzt dachte er an die Heimrathtochter und an das, was der Klostermaier über deren Vermögensverhältnisse gesagt hatte.
»Zwei-, dreitausend Gulden«, murmelte er während des Dahingehens und wiederholte, ganz in sich versunken: »Zwei-oder gar dreitausend bare Gulden, hm.« Der Schweiß brach aus seinen Poren. Er fuhr mit der Handfläche über sein feuchtes Gesicht. War er denn so schnell gelaufen? Er wußte es nicht. Er hatte Berg erreicht. Der Leibfinger grüßte laut aus seiner feuersprühenden, rußigen Schmiede. Der Maxl erwiderte den Gruß und ging langsam an den anderen Häusern vorüber.
Zu Hause fand er im ›Land- und Seeboten‹ die Nachricht, daß die vielberedete Kaiserin Elisabeth wieder im elterlichen Schloß in Possenhofen eingetroffen sei und ihrem Freund Ludwig II. einen Besuch abgestattet habe. Das Bild der schönen Kaiserin schmückte die halbe Vorderseite der Zeitung.
»Eine bildsaubere Person«, sagte der Maxl, als er es betrachtete, »die sollte unser König geheiratet haben! Das wär’ was gewesen!« Die alte Stellmacherin, die am Herd stand und eine gezwiebelte Brotsuppe kochte, meinte: »Der? … Der König? … Es heißt doch, daß er nie ein Weibsbild mögen hat! Die Leut’ reden weiß Gott was über ihn.«
»Ah, was die Leut’ reden!« warf der Maxl hin, »wenn er kein Weibsbild möcht’, warum ist er denn dann mit der Elisabeth immer beieinander und warum lädt er denn jetzt die russische Kaiserin wieder ein? Ha, was die Leut’ schon alles gesagt haben! Vom Wagner haben sie gesagt, er hat den König verhext. Nachher haben sie’s wieder vom Bismarck gesagt. Jetzt reden’s den Unsinn ’rum, der König mag kein Weibsbild, er will bloß Mannsbilder!«
»No«, unterbrach ihn die Stellmacherin, die diesmal auffallend gesprächig war, »no, er macht – man muß schon sagen – in der letzten Zeit recht komische Sachen, der König! Heut hat er auf einmal zum Schmalzer-Hans ’raufgeschickt, er soll sofort kommen. Der Hans hat sich gut angezogen und ist ins Schloß ’nunter.
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