Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Sie torkelten ungeschlacht aus der Wirtsstube. Der Daiser-Hans war sitzen geblieben. Bald darauf hörten er und der Maxl das Stimmgewirr der abziehenden Beter. Es regnete nicht mehr. Es war nur noch grau vor den Fenstern. Aus den talwärts hängenden Aufhauser Feldern stieg schleieriger Dunst. Der Klostermaier, der vor die Tür getreten war, kam in die Stube zurück und sagte gemütlich: »Unser Herrgott hat ein Einsehn gehabt. Über Bachhausen und Farchach wird der Himmel schon lichter. Jaja, wenn die Allmannshauser einmal beten, das nützt was.«
»Was?« fragte der Maxl unvermittelt, »was? es wird schön Wetter? Herrgott, wunderbar! Das ist etliche Maß Bier wert! Schenk ein, Klostermaier!« Er zog seine glatte Schnupftabaksdose, klopfte darauf, öffnete sie und streckte sie dem Daiser-Hans und dem Wirt hin. Alle drei schnupften rasselnd.
»Jetzt wird das Seefest vom König doch was! Das wird ein Geschäft, Maxl! Ich hab’s ja seit eh und je gesagt, wenn du nicht bald ein Millionär wirst, wird’s keiner!« meinte der Klostermaier, als er die frischgefüllten Krüge hinstellte. Der Maxl war auf einmal kribblig geworden und stand auf. – »Ich muß selber schaun!« sagte er, ohne viel auf den Klostermaier zu hören, und ging hastig vor die Wirtshaustür. Er schaute hinab auf das Farchach-Bachhauser Tal. Er lugte in den Himmel, der da und dort schon große hellblaue Inseln zeigte, die immer größer wurden. Es war Dienstag. Am Freitag sollte die russische Kaiserin nach Berg kommen. Der Heimrathknecht zog seinen bauchigen, frischbeschlagenen Braunschimmel aus der Schmiede. Das Roß wieherte hell in die feuchte Luft und trippelte unruhig auf dem Fleck, als der Knecht sich auf seinen Rücken schwang. In leichtem Trab ritt er auf der Aufhauser Straße weiter.
»Sag einen schönen Gruß zur Bäuerin, Hans! … Und die Resl grüß mir extra!« rief der Maxl lustig, »aber vergiß nicht drauf!«
»Jaja«, gab der Davonreitende nur noch an. Eine ganz kurze Weile blieb der Maxl auf dem Treppenabsatz vor der Wirtshaustür stehen. Er hatte eine frische, kühne Miene, seine Augen glänzten kurz auf, und um seine Mundwinkel zogen sich leichte, lächelnde Falten. Ganz so schaute er aus, als sei ihm das Beste auf der Welt plötzlich eingefallen. Er drehte sich rasch um und kam in die Wirtsstube zurück.
»Ja!« sagte er übermütig, »ja, es wird schön Wetter! Sauf, Hans! Sauf, soviel du zwingst!« Eine Stunde nach der anderen verlief, und vor den Fenstern wurde es immer heller und klarer. Der Reiter-Xaverl vom Vilz, der allerhand Handelschaften betrieb, kam in die Wirtsstube, der Postillon machte Brotzeit vor seiner Wegfahrt, der stiernackige Metzgergeselle gesellte sich dazu, und die Schmiedin holte Bier für ihren Mann. Der Maxl und der Daiser-Hans waren in das eifrigste Gespräch gekommen. Sie erzählten einander Kriegserlebnisse, kamen auf glückliche Zufälle zu sprechen und ergingen sich mitunter in weisen Betrachtungen. Etwas gedunsen waren ihre betrunkenen Gesichter, glasig schauten sie einander in die Augen. »Es muß was Übernatürliches geben, Hans!« sagte der Maxl und umspannte den aufgestützten Arm seines Kriegskameraden. »Nichts ist mir so zuwider als bigotte Duckmäuserei und saure Betschwestern. Ich hab’ meinen Glauben und meine Religion, da gibt’s nichts.«
»Und dein Geschäft! Deine Goldgrub’n!« warf der Klostermaier spöttisch ein und lachte. »Jetzt wird’s gut. Auf einmal fangt er vom Herrgott an, weil’s schön Wetter wird! Oh, du hinterlistiger, schlitzohriger Konsort, du!« Der Reiter-Xaverl, der Postillon und der Metzgergeselle lachten beifällig. Der Maxl und der Daiser-Hans aber blieben merkwürdigerweise ernst, ohne den Spott des Wirtes weiter zu beachten.
»Laßt euch sagen!« hub der Maxl wiederum an, »wie ich bei Orleans mit meinem Handschuß auf’m Acker gelegen bin … Die Unsern sind über mich weg, überall haben Verwundete und Halbtote geschrien, gekracht hat’s und der Boden hat ’zittert … Inwendig bin ich ganz strohtrocken und brandig gewesen und hätt’ hektoliterweis’ Wasser saufen können, und geschlottert hab’ ich … gefroren hab’ ich … Gemeint hab’ ich, jetzt ist’s aus, und bin eingeschlafen. Ich denk’ noch, wie’s wohl sein wird in der Ewigkeit, und denk’, wie er aussieht, unser Herrgott, und was jetzt alles passiert. Und ich schnauf’ noch einmal ganz fest, denk’ an meinen Vater selig und was daheim sein wird, und sag’
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