Das Leben meiner Mutter (German Edition)
respektierlichen Kauf. Wenn sie nur erst einmal das Pferd sehen und schätzen lernen würden, dann komme das andere schnell dazu. Er erinnerte sich auch an das leichte, ausgelargte Wägelchen, das ihm der Wiesmaier vor etlichen Wochen angeboten hatte, und er wußte, daß der Schmalzer-Hans noch zwei alte Geschirre hatte, die billig zu haben waren.
»Großartig!« stieß er auf einmal heraus und machte einen kleinen Luftsprung. Dadurch erschreckte er das Pferd. Es riß den Kopf in die Höhe, schnaubte prustender und trippelte unregelmäßiger. Er mußte es streicheln und mit einigen guten Worten beruhigen. Auch er kam dadurch wieder ins Gleichgewicht, faßte sich schnell und ging behaglich langsam dahin. Jetzt erst schaute er um sich. Die dunkle Nacht hatte sich nach und nach erhellt, wie blank geputzt funkelten die Sterne im gespannten Himmel, und der Mond ergoß sein bleiches Licht über die noch feuchten, dunstigen Wiesen und Äcker. Ganz still war es. Nur das Klappern der Hufe und Maxls Schritte gaben einen leichten Nachhall.
Der Maxl atmete tief. Wahrhaftig, heute war ein Glückstag! Morgen strahlte sicher die Sonne, und in drei Tagen kam also doch die russische Kaiserin zu dem riesigen Seefest nach Berg!
Maxls Hirn war ein ordentlich funktionierendes Schaltwerk. Es war jederzeit imstande, das Überflüssige und Störende einer Gefühlswirre auszuschalten und sich sogleich auf das zunächst Liegende, Notwendige einzustellen. Darum erschien der Maxl so vielen Leuten als besonders berechnend und zynisch.
»Ah, die Heimrath-Resl? … Ah, Unsinn! Das hat Zeit!« brummte er plötzlich und war erstaunt darüber, daß er laut gedacht hatte. Nun nämlich, da er mit dem Kopf und dem Herzen schon wieder ganz bei seiner Arbeit war, verflüchtigte sich das kurz vorher Geschehene sehr rasch. Sogar das Pferd erschien nicht mehr ganz so wichtig. Genügend Brot, ausgezeichnetes Brot für die nächsten Tage mußte her! Noch einmal soviel leisten, einteilen, überdenken und genau rechnen, hieß es.
Der Maxl ging festschrittig an den Häusern vorüber. Der Spitz vom Schmied Leibfinger kläffte laut auf, als Pferd und Mann vorüberkamen. Alle Fenster waren schon dunkel. Auch im Stellmacherhaus waren sie bereits zu Bett gegangen. Der Lorenz hörte ein dumpfes Schlagen und Kratzen aus der Richtung des Stalles. Er hob den Kopf und besann sich. Als er aber kurz darauf die Stalltür quietschen hörte und Maxls Schritte über die Stiege heraufkamen, drehte er sich wieder um im Bett und schnarchte weiter.
In dieser Nacht spürte der Maxl zum erstenmal mit Angst und Grauen, daß er sich zu viel zugemutet hatte. Mitten in der Arbeit, als er den fertig gekneteten Teig aus dem Trog hob, um ihn auf die glatte Eichentafel zu werfen, befiel ihn eine jähe Schwäche. Kranker Schweiß brach aus allen seinen Poren, und sein Herz schlug derart heftig, als sitze es in der Gurgel. Seine Knie zitterten, seine Arme schienen langsam zu erlahmen. Er ließ das schwere Stück Teig wieder in den Trog sinken und richtete sich gerade auf. Er rang hart nach Luft und bekam eine bitterernste, verlorene Miene. Er schnaubte wieder, wieder und wieder, fuhr mit der Hand über sein totenblasses Gesicht und wankte zum offenen Fenster.
»Jesus! Jesus!« keuchte er, und sein Körper fing zu schlottern an. Seine Zähne klapperten aufeinander. Vergeblich versuchte er, sie zusammenzubeißen. Er sank auf die breite Holzbank nieder und stützte mit beiden Händen seinen Kopf. Zum Weinen war ihm zumute.
»Ja, Herrgott – da-das –«, stammelte er schmerzlich. Eine gute Weile hockte er so da. Es war totenstill. Nur der langsam gärende Teig im Trog, der hin und wieder kleine Blasen warf, die dann platzten, verursachte ein atemähnliches Geräusch, und die verglimmenden Scheite draußen im Backofen knisterten leise. Die kühle Nachtluft, die durch das offene Fenster kam, legte sich auf Maxls Genick und Hinterkopf und ließ die Schweißperlen erstarren. Sein nasser Körper wurde klebrig und kalt, und ein leichtes Frösteln überschauerte ihn. Er umspannte angstvoll zitternd mit der einen Hand die Tischkante und richtete sich mühsam auf. Wiederum rang er schwer nach Luft. Seine Brust dehnte sich, und unter den Rippen verspürte er einen stechenden Schmerz. Sein Atem pfiff ein wenig, doch das Herz schlug wieder regelmäßiger. Er stand da und starrte weh ins Leere. Wenn man so grenzenlos allein und verlassen ist, werden alle Gedanken größer und schrecklicher. Eine
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