Das Leben meiner Mutter (German Edition)
unsagbare Traurigkeit überwältigte den Maxl. Ach, was war nun all die Mühe, das Geschäft, die wachsende Kundschaft, das Seefest, das Pferd und alles findige Streben? Was galten die Hoffnungen noch, wenn man – vielleicht – ganz plötzlich – umfiel und – tot – ganz tot war?! Tot!!
Mit aller unbarmherzigen Schärfe und Grausigkeit befiel den Zerknirschten diese Vorstellung und schien ihn buchstäblich zu erdrücken. Nur um nicht ganz zu unterliegen oder auch, um sich zu vergewissern, daß er noch lebe, tastete er geschwind in seine verklebte Hosentasche und suchte nach seiner Schnupftabaksdose. Er stieß einen kurzen Fluch aus, weil er sich vermutlich darüber ärgerte, daß er sie so lächerlich beim Heimrath liegengelassen hatte, und – so unglaubhaft es klingen mag – diese Nebensächlichkeit half ihm über das Schwerste hinweg. Er machte einen zögernden Schritt, noch einen und noch einen, ging aus der Backstube, stapfte die Stiege hinauf und klopfte an die Tür der Kammer, in welcher die Stasl und die Kathl schliefen. Wieder überrieselte ihn die verdächtige Schwäche.
Er klopfte schneller und fester und rief drängend: »Stasl, Stasl! Kathl! I-ich kann – ich bin krank – Stasl!«
Er mußte sich fest an die Türklinke klammern, drückte sie dadurch nach unten, und die Tür ging auf.
»Was ist’s denn? Was willst du denn?« murrten die zwei Schwestern gleicherzeit aus dem Dunkel, und ihre Betten knarzten.
»Ich kann nicht mehr! Helft’s mir!« sagte der Maxl mit schwacher Stimme und lehnte seinen Rücken an die Türe. »Ich bin krank!« Die Erwachten hörten sein pfeifendes Keuchen.
»Besoffen wirst wieder sein!« raunzte die Stasl, aber allem Anschein nach war sie aus dem Bett gestiegen. Verschwimmenden Blickes sah der Maxl ihre Gestalt im fahlen Mondlicht.
»Diesmal nicht – nein – nein!« stammelte er und fing zerstoßen zu wimmern an: »A-a-ach, was ist denn das? Helft’s mir doch!« Er sackte zusammen und ächzte wie ein Sterbender. Er hörte noch ein Stimmengewirr und fühlte eine dampfende heiße Bettdecke. Als er aufwachte, brannte eine trübe Kerze auf dem Nachttisch neben Stasls Bett, und er hörte, daß die Schwestern drunten werkelten. Da wurde ihm ein wenig wohler. Er griff nach dem Glas Wasser, das neben der Kerze stand, und trank es in einem Zug aus. »Ach! Gott sei Dank! Gott sei Dank!« murmelte er und atmete belebter. Behutsam hob er seinen heißen Oberkörper, wischte den Schweiß aus seinem Gesicht und streckte die Beine aus dem Bett.
»Stasl!« schrie er fest, »Stasl!« Gleich darauf rumpelte die Gerufene die Stiege herauf und stand, mehlbestaubt, mit aufgestülpten Ärmeln, vor ihm. Er schaute sie an mit einem dankbar gerührten Blick und schluckte.
»Ist’s besser?« fragte sie und musterte ihn.
»Ja! Ich glaub’s, es geht wieder! Wie weit seid ihr denn?« fragte er und lächelte weh und matt.
»Alle haben wir zusammengeholfen. Das Brot ist ja im Ofen, aber recht schön ist’s nicht. Von uns kann doch keiner einschießen. Es ist viel verpatzt!« erzählte die Stasl sachlich und fragte: »Im Stall steht ein Roß. Hast du denn eins gekauft?«
»Ja«, nickte der Maxl wieder leicht lächelnd und setzte fast zärtlich dazu, »eigens für dich, Stasl …« Er wollte aufstehen, doch die Stasl und die Kathl, die inzwischen auch gekommen war, drängten ihn, sich wieder hinzulegen. Er trank abermals ein Glas Wasser, sagte noch: »Morgen wird’s schon gut sein!« und schlief ein.
So gut es ging, besorgten die zwei Schwestern und der Lorenz die Arbeit. Auch der Voshank kam in der Frühe daher und half mit. Die Stasl mußte viele Klagen über die schlecht ausgebackenen und ›vergangenen‹ Semmeln hören, aber sie verstand es diesmal besonders gut, einleuchtende, kulante Entschuldigungen anzubringen. Übrigens stand der Maxl, nachdem er die ganze Nacht und den folgenden Tag durchschlafen hatte, wieder auf und schien wenigstens halbwegs gekräftigt zu sein. Was er nie für möglich gehalten hatte, war geschehen: Die Stasl hatte – wahrscheinlich, weil sie merkte, daß dies ihren Entschuldigungen Nachdruck verlieh – bei den Herrschaften, den Wirten und im königlichen Schloß die unerwartete Krankheit ihres Bruders zum Anlaß genommen, um überall Mitleid zu erregen, und es war ihr auch gelungen. Der königliche Küchenchef gab ihr ein kaltes Huhn mit, und der Hotelier Strauch von Leoni war auf den schönen Gedanken gekommen, dem Kranken eine
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