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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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aus.
    »Laß ihn rasten. Er –« rief die Stasl grob, doch der Kastenjakl war schon im Gang und tappte die Stiege hinauf.
    Ärgerlich knurrte die Stasl: »Herrgott, der geht uns heut grad noch ab! Ausgerechnet jetzt muß er daherkommen!« Alle anderen murrten. Die Stasl stand auf und besann sich kurz.
    »Er soll den Maxl doch in Ruh’ lassen«, brummte die Kathl, den letzten Bratenbrocken zerkauend, und der Voshank bekam ein finsteres Gesicht.
    »Schlecht schaut er aus … Man kennt ihn kaum mehr«, meinte der Lorenz über den Kastenjakl.
    »Ich lass’ es nicht zu! Es geht einfach nicht!« sagte die Stasl und ging resolut aus der Stube.
    »Hmhm, nie darf eine Ruh’ sein!« brümmelte die alte Stellmacherin traurig.
    Der Kastenjakl saß auf einem Stuhl neben dem Bett des kranken Maxl, als die Stasl in die Kammer kam. Die zwei Männer sahen einander schweigend in die Augen. Es machte den Eindruck, als hätten sie jäh ein Gespräch abgebrochen. Es war schwer zu entziffern, was auf Maxls schweißnassem Gesicht lag: Schmerz oder Erbitterung, Trotz oder geheime Scham, Rührung oder hilflose Wehmut. Vielleicht war es alles zusammen.
    »Maxl«, sagte die Stasl, ohne den alten Mann zu beachten, »das geht doch jetzt nicht, daß er dich nicht in Ruh’ laßt …«
    Ihr Bruder sagte nichts. Er legte ermattet den Kopf zurück. Nur sein Halszäpfchen bewegte sich ein wenig, als würge er etwas hinunter. Er schnaubte schwer und drückte einige Male die Augenlider aufeinander.
    Der Kastenjakl richtete sich auf und grinste die Stasl kaltblütig an. Er umspannte den gebogenen Griff seines dicken Spaziersteckens, und seine Augen begannen böse zu funkeln.
    »Jaja-ja-ja, Stasl«, sagte er mit giftigem Hohn, »jaja! O ja, ich geh’ schon wieder! Du kriegst dein Heiratsgut jetzt sicher vom Maxl. Der alte Kastenjakl hat ja mitgeholfen, daß der Maxl das jetzt kann. Du brauchst also keine Angst zu haben, Stasl! Jaja, ich geh’ schon, nur keine Angst! Der alte Andres will euch nicht mehr im Wege stehen, jaja … Er verreckt gern, ganz gern, hahaha …« Seine wenigen schwarzen Zahnstumpen unter dem wirr herabhängenden Schnurrbart wurden sichtbar. Sein alter Kopf wackelte in einem fort, während er steif gebückt auf die Türe zuging. Dort drehte er sich noch einmal um, lugte auf den Maxl, grinste noch unheimlicher und sagte wiederum: »Hm, Maxl, ich wünsch’ dir gute Besserung! Wär’ ja schad’, wenn du vor mir ins Gras beißen müßtest. Auf Ehr’ und Seligkeit, ich gönn’ dir alles, was mir passiert ist, ich gönn’ dir’s gern. So geht das schon bei uns, Maxl. Alles ist reine Glückssach’ – der eine bringt’s bis zum Bankrott und der andere kommt obenauf … Halt dich gut, Maxl!« Er lächelte keuchend in sich hinein. Er ging aus der Kammer. Seine Schritte tappten die Stiege hinunter, und die in der Stube Sitzenden sahen ihn wie einen Schatten an den Fenstern vorüberhuschen.
    Der Maxl, der bis jetzt unbeweglich dagelegen hatte, gab nicht an, als die Stasl abfällige Worte über den alten Mann sagte. Er starrte zur Decke. Endlich sagte er trocken und so nüchtern wie ein Mensch, der mit aller Gewalt seine wahre Empfindung zu verbergen versucht: »Ich kann ihm ja wirklich nicht helfen … beim besten Willen nicht!« Seine Lippen klappten wieder aufeinander. Noch immer bewegten sich seine Augen nicht.
    »Hätt’ er nicht so viel herumspekuliert!« meinte die Stasl ungut und murrte weiter: »Er hat sich ja nie was sagen lassen. Jetzt, weil er verdorben ist, sollen wir –«
    »Ah, red doch nicht! Ihr versteht ja das alles nicht!« fiel ihr der Maxl ins Wort und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Dann fragte er, wie das Geschäft gegangen sei, wieviel Brot noch gebacken werden müsse, und es war ihm anzusehen, daß er von Wort zu Wort ruhiger wurde. Sachlich berichtete die Stasl.
    »Hw-hw, heiß ist’s … heiß!« hauchte er einmal. Die Stasl machte das Fenster auf. Der Lärm des menschenüberfüllten Dorfes drang in die Kammer. »Die Wecken für die erste Hitz’ müßt ihr noch machen … Zu den Semmeln steh’ ich auf! Es wird schon gehn!« sagte er und drehte sich um. Die Stasl ging aus der Kammer. Drunten arbeiteten der Voshank und der Lorenz schon in den Trögen der Backstube. Sie kam zu ihnen, erzählte und schimpfte ergrimmt über den Kastenjakl. Sie und die Kathl stülpten die Ärmel auf und fingen flink zu werkeln an. Gegen sechs Uhr abends schwankte der Maxl die Stiege herunter. Sein

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