Das Leben meiner Mutter (German Edition)
erster Blick fiel auf die fertiggebackenen Wecken. Nicht wenige davon waren zu schwarz geworden oder unförmig verzogen. Er preßte mit beiden Händen seine schmerzenden Rippen zusammen, atmete hart, biß die Zähne aufeinander und kam in die Backstube.
»Grad ist’s, als ob ich besoffen wär«, murmelte er, und es sah aus, als bezwinge er den Schwindel nicht, der in ihm aufstieg. Er griff schnell nach der Bierflasche und ließ die braune Flüssigkeit, ohne zu schlucken, in sich hineinrinnen, bis die Flasche leer war. Als er sie wegstellte, fühlte er sich offenbar wohler.
»Himmelherrgottsakrament-Sakrament! Kruzifix und alle Heiligen!« stieß er in trotzigem Zorn aus sich heraus, straffte seine Glieder und ließ keine Widerrede mehr gelten. Er knetete den ersten Semmelteig, der Voshank den zweiten und der Lorenz den dritten, und er schoß dreimal den Ofen voll und räumte ihn aus. Das Backwerk gelang wunderbar.
Draußen in der Sternennacht donnerten unausgesetzt die Raketen, und der Himmel leuchtete jedesmal auf, wie von zahllosen grellen Blitzen durchzuckt. Ferner Lärm und schmetternde Musik, bald anschwellend, bald verschwimmend, brausten in der kühlen Luft. Von der Dorfstraße her wurden ab und zu Lachen, Stimmengewirr und das Tappen vieler Schritte vernehmbar.
»Schier wie im Krieg«, murmelte der Maxl einmal.
Drunten an dem Ufer des Sees – hüben und drüben gleicherweise – standen dichtgedrängte Menschenmassen und schauten gebannt auf das Schauspiel, das ihnen vom König geboten wurde. Die zwei hellerleuchteten Dampfschiffe lagen auf der glitzernden Wasserfläche und sahen, wenn es für einige Augenblicke dunkel wurde, aus wie plumpe, geisterhafte Urtiere. Musikkapellen spielten auf ihrem Deck, und die Töne schwebten über die bewegte Glätte, auf der – gleichsam, als wäre sie gespickt mit unzähligen schwirrenden Lichtlein – die flinken Boote hin- und hersausten. Das Berger Schloß und der Possenhofer Herrensitz waren besonders prachtvoll illuminiert, aber auch jeder Uferort, die Roseninsel und die Flöße prangten in Strahlenglanz. Das althergebrachte Fischerstechen vor dem Floß der Majestäten, an welchem sich alle Fischer beteiligten, gestaltete sich zu einem ungemein erregenden, phantastischen Turnier. Wilder Beifall bellte jedesmal auf, wenn ein Lanzenmann seinen Gegner von der Spitze des anderen Bootes stieß. Die dunkle Gestalt des Bezwungenen reckte sich, die lange Stange entglitt ihm, der Mensch taumelte und plumpste in das hoch aufzischende Wasser.
»Hurra! Hoch! Hurra, Franzl!« schrie es überall, und ein Klatschen begann, während der stolze Sieger sich gegen die Majestäten verneigte. Als das Fischerstechen endlich vorüber war und die besten Kämpfer reichbeschenkt davonruderten, krachten die Salutschüsse, und gleich darauf zischten von den Flößen im Wasser dichte, prasselnde Feuergarben auf, die sich wie bunt glitzernde Fontänen zeltgleich im dunklen Himmel vereinten und schließlich als funkelndes Sternenmeer auf den See herunterregneten. Staunendes Beifallsjubeln, Musik, Krachen und Prasseln, Funkeln und Leuchten vermischten sich zu einem magisch belebten Zauberbild. Zeitweise schien es, als sei der ganze weite, festliche Landstrich von der schweren, dunklen Erde losgelöst und schwebe langsam als unwirklich strahlende Insel zum Himmel empor. Fünfzig und mehr Jahre später noch fand die Heimrath-Resl, die mit ihren Schwestern unter den Tausenden am Berger Ufer stand, nur die Worte: »So was sieht man nie wieder!«
Erst als der Morgen graute, wurde es allgemach stiller.
Die Luft roch nach Pulver und verbranntem Papier. Der dämmernde See mit den abgetakelten Flößen sah aus wie eine halb abgebrochene, von Papierfetzen übersäte, staubige Theaterdekoration. Leer, verbraucht und reglos sonnte er sich in seinem länglichen Bett. Kurz vor dem Mittagessen mußten die Jungfrauen, die Kinder und Veteranen noch einmal in Unterberg Spalier bilden. Der Beifall der ermüdeten Menschen klang lange nicht mehr so erfrischt, als die vielen glänzenden Karossen aus dem Dorfe fuhren. Obgleich noch Fremde in Massen herumgingen und die Gasthäuser bevölkerten, wurde es in Berg schnell wieder werktäglich. Die Leute nahmen die Girlanden und Fahnen von den Hauswänden und brachen die Triumphbögen ab. Nur die Kinder, die schulfrei hatten, wichen nicht vom See-Ufer und schauten zu, wie die Fischer die Flöße mit Flachbooten nach Starnberg schleppten.
Tags darauf kam der
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