Das Leben meiner Mutter (German Edition)
»Hoch«-Rufen pflanzte sich fort, die schmetternde Musik setzte ein, die Schulkinder fingen ›Heil, unserm König, heil‹ zu singen an, und in den allgemeinen Lärm mischte sich das Rollen der daherfahrenden Karossen und Kutschen. Hinten im Park krachten Salutschüsse und ließen die Luft erzittern.
»Hoch! … Hoch! …« schrie auch die Resl und warf wie alle ihre Blumen in den Staub der Straße oder in die Wagen. Soviel Prunk und ungewohnte Dinge gab’s zu sehen, daß sie gar nicht nachkam. Mitunter blickte sie auf den Boden, sah, wie die Räder der Wagen über die vielen Blumen rollten, wie der wirbelnde Staub sie begrub, und dachte vielleicht flüchtig, was das zum Schluß für eine Arbeit gab, sie wieder wegzukehren. Den Schluß der Wagen bildete der flott marschierende Musikzug des Veteranenvereins. Endlich tauchten dahinter die Schulkinder auf, und nun schlossen sich auch die Jungfrauen und sonstigen Leute an. Die Gefährte waren in den Schloßhof eingefahren, und der lange, dichte Zug pilgerte singend und huldigend am Tor vorüber, hinauf nach Oberberg, wo er sich teilweise auflöste. Die Kinder durften zum Wiesmaier hinuntergehen, wo sie auf Kosten des königlichen Hofes ausgespeist wurden. Die Veteranen marschierten nach Aufkirchen. Beim Klostermaier wartete ihrer ein Mittagessen und Freibier. Ihnen folgten die Dörfler und Bauern der Umgegend. Viele gingen auch nach Leoni.
Bei dieser Gelegenheit kam die Resl mit ihren Schwestern zum erstenmal ins Bäckerhaus von Berg. Mit vielen nachdrängenden Leuten schob sie sich durch den schmalen Gang und gelangte in die Stube. Da standen die Stasl, die Kathl und der Voshank hinter hochgefüllten Körben und verkauften Semmeln. Sie hatten alle Hände voll zu tun. Neben jedem von ihnen stand ein Stuhl, darauf wieder ein leerer, irdener Milchweigling. In jedem lagen zahllose Kupfer- und Nickelstücke und wurden immer mehr. Auf dem Kanapee hockte die Stellmacherin, und der Zwerg daneben grinste gelassen.
»Wo ist denn der Maxl?« fragten einige Leute und erfuhren, daß er krank im Bett lag. – »Hoh, was fehlt ihm denn?« wollten sie weiter wissen, aber die Grafs antworteten alle nur, es sei nicht weiter schlimm. Sie hatten ja auch nicht Zeit. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit wurden die Körbe leer und die Milchweiglinge voll.
»Obacht!« schrie der Lorenz von Zeit zu Zeit und trug, vom Backofen herkommend, einen weiteren vollen Semmelkorb in die Stube. Die Heimrath-Resl blickte voll Verwunderung auf die Körbe und auf das viele Geld, das einging. Als sie mit ihren Schwestern auf die Straße kam, sagte sie: »Macht der aber ein Geschäft! Der nimmt ja in einem Tag soviel ein wie Bauernleut’ in einem Jahr.« Mag sein, daß sie sich daran erinnerte, wie sie einst gesagt hatte: »Wenn der jeden Tag sein teures Mehl verbackt und bringt die Semmeln nicht an, da muß er doch verderben.« Sicher dachte sie nun ganz anders. Jedenfalls schien sie sich mit derlei Gedanken zu beschäftigen, denn als sie eine Semmel zu verzehren begann, murmelte sie: »Wenn das so weitergeht beim Maxl, da muß er’s ja zu was bringen … Hmhm, der wird sich ärgern, daß er grad jetzt krank ist.« Die neben ihr hergehende Marie meinte: »Jaja, er ist zäh wie Juchtenleder, der Maxl … Kein Mensch hätt’ geglaubt, daß er einmal obenauf kommt.«
»Da brauchst nicht lang nachdenken. Der hat höchstens wieder zuviel gesoffen«, sagte die spindeldürre, kleingewachsene Nanni. Die Genovev hatte daheimbleiben müssen. Die muffige Kathrein, die auch eine Semmel zerkaute, warf herabmindernd hin: »Ah, es ist ja doch kein rechter Segen auf dem Haus! Und zuviel Geschwister hat er auch, der Maxl. Sparen kann er doch auch nicht – wie soll er’s denn da zu was bringen?«
Es war mittäglich heiß geworden. Sie kamen allmählich ins Schwitzen. Als sie den Aufkirchener Berg hinaufgingen, verlangsamten sie ihre Schritte und wischten sich hin und wieder mit der harten Hand über ihr nasses Gesicht. Vom König, von der Zarin, von all der Pracht in Berg und vom Feuerwerk redeten sie jetzt, zu welchem sie abends gehen wollten. Die hohe Sonne funkelte auf dem reichen, schweren Silbergeschnür ihrer enganliegenden, reichbestickten neuen Mieder, die die Heimrathin erst vor zwei Jahren beim Wolfratshausener Goldarbeiter gekauft hatte. Ungemein zierlich formte so ein Mieder den Oberkörper, hob die quellenden Brüste unter dem spitz ausgeschnittenen, schneeweißen, gestärkten, kurzärmeligen,
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