Das Leben meiner Mutter (German Edition)
blusigen Hemd und ließ die breiten Hüften ganz stark hervortreten. Die dunklen, in sich gemusterten, wallend-langen, vielfaltigen Röcke, deren Saum den staubigen Boden berührte, und die enggebundenen, glänzenden Seidenschürzen taten ein übriges dazu.
»Schön ist’s heut«, sagte die Resl stehenbleibend und setzte dazu: »Kein Mensch ist auf’m Feld.« Sie schauten zurück auf das belebte Berg, von wo noch immer das unablässige Geräusch der lauten Menschen und die undeutlich dareinklingenden Melodien der Musikkapellen herüberhallten. Südwestwärts schälte sich ein Stück des blauen Sees aus dem Baumgewirr von Leoni. Die ferne Roseninsel wurde sichtbar, und die zahllosen Ruder- und Segelboote sahen winzig aus.
»Bauernleut’ haben ja heut’ auch einen Feiertag. Bloß die Wirt’ und der Bäcker-Maxl haben zu tun«, meinte die Nanni. Die Glocken von Berg und Aufkirchen fingen das Zwölfuhrläuten an. Sie gingen ein wenig schneller weiter. Als sie ins Pfarrdorf kamen, begegnete ihnen eine Menge Leute. Auf dem Platz zwischen dem Klostermaierschen Wirtshaus und der Kirche war kaum durchzukommen. Die Haunerin stand vor der offenen Ladentüre, einen Korb mit Semmeln und Brezen vor sich, und alle Leute kauften von ihr. Im Vorübergehen fragte die Resl, ob das Brot auch vom Maxl sei, und als die Haunerin nickend bejahte, schüttelte sie wiederum verwundert den Kopf und murmelte: »Das Geld, das der heut einnimmt, hmhmhm! Ein Malefiztropf, ein schlauer, der Bäcker-Maxl!«
Überlaut ging es in der Wirtsstube und im vollen Garten vom Klostermaier zu. Auf den Stühlen und provisorisch zusammengezimmerten Bänken vor den langen Tischen und sogar im Gras lagerten zechende Leute, schmausten und tranken, lachten und lärmten und wogten dichtgedrängt hin und her.
Aus dem Schmiedhäusl trat der Kastenjakl und versuchte sich unauffällig durch das laute Menschengewirr zu drücken.
»Ausgeschlossen! Zahl erst das andere, du Lump, du windiger!« kläffte der massige Schmied, der im Sonntagsgewand in dem offenen Türrahmen stand, aber nur einige verstanden sein Schimpfen. Der Kastenjakl hatte den Kopf eingezogen und hörte nichts von den spöttischen Zurufen der Leute, an denen er sich vorüberschob.
Er sah schrecklich verwahrlost aus. Das schlampige, zum Teil zerrissene Werktagsgewand schien ihm viel zu groß zu sein, seine zerzausten, wirr auseinander spritzenden Schläfenhaare gaben dem gelben, ausgemergelten Gesicht etwas Gespenstisches.
»Mein Gott, der Kastenjakl! Da schaut’s!« rief die Resl mitleidig, doch ihre Schwestern beachteten es nicht. Das laute Spotten und Gelächter überdeckte rasch die paar Worte.
»Der Lump, der elendige!« schrie der Schmied, der auf die Wirtsstubentür zuging, in heller Empörung und setzte dazu: »So ein frecher, niederträchtiger Schwindler! Jeder weiß, daß sein lumpiger Bau versteigert wird, und von mir will er noch vier neue Stiegengitter! So ein Misthund!«
Außerhalb des Pfarrdorfes, auf dem schmalen Weg, der nach Leoni führt, blieb der Kastenjakl plötzlich stehen. Es sah aus, als habe ihn ein jäher Gedanke hiebgleich getroffen. Er hob sein verwüstetes Gesicht. Er sah nichts vom herrlichen Tag und der anmutig heiteren Landschaft. Er starrte nur sekundenlang. Dann machte er eine rasche Wendung und stapfte über die abwärtshängenden, gemähten Getreidefelder auf Berg zu.
Beim Stellmacher saßen sie um den Tisch und schlangen das Essen hinunter. Zwei Krüge Bier standen da, Suppe und Braten gab es. Jeder hatte ein aufgeweckt-zufriedenes Gesicht. Jeder entwickelte den besten Appetit. Hinten im Backofen knisterte schon wieder das Feuer. Tag und Nacht mußte gebacken werden. Die Stasl schien ganz in ihrem Element. Sie regierte, und niemand widersprach ihr.
»Du mußt gleich zum Strauch nach Leoni … Wecken und Semmeln, was wir haben, sollen wir schicken, hat der Strauch bestellen lassen«, sagte sie zur Kathl und fragte ihre Mutter: »Wie geht’s ihm denn, dem Maxl? … Kann er aufstehn?«
»Er meint schon. Gegessen hat er gar nichts, aber sein Bier hat er ’trunken«, antwortete diese. Da ging die Tür auf, und der Kastenjakl stand da. Alle sahen halb benommen und halb abweisend auf ihn.
»Wo ist denn der Maxl?« fragte er, ohne zu grüßen.
»Krank ist er … Droben im Bett liegt er«, erwiderte die Stasl kalt.
»So, krank … Ich geh’ gleich zu ihm ’nauf«, sagte der Kastenjakl und drehte sich schon um im Türrahmen. Verstört sah er
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