Das Leben meiner Mutter (German Edition)
der Maxl und die ganze verhaßte Stellmachersippschaft übel wegkommen. Endlich war einmal eine günstige Gelegenheit gekommen, mit einigem Recht seine offene Feindschaft zu zeigen. Nicht minder gespannt, mehr aber noch bedrückt war der Maxl, seitdem er wußte, was mit dem Kastenjakl geschehen war. Halbwegs gesund, ging er etwas klapperig im Hause herum und zerbrach sich fortwährend den Kopf darüber, auf welche Weise diese heikle Sache am besten zu regeln sei.
Möglich, daß er im geheimen bereute, die Stasl und den Voshank so schnell und so großzügig ausbezahlt zu haben, aber das war – er kannte seine starrköpfige Schwester nur zu gut – schon nicht mehr zu umgehen gewesen. Im übrigen war es nun einmal geschehen und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Mehr als das irritierte ihn, daß bei der ganzen Rechnung sein Herz zuviel mitgesprochen hatte. Aller Voraussicht nach waren die Folgen für sein Geschäft sehr schwerwiegend. Stasl und Voshank heirateten, schon hatten sie ihre Habe beisammen und die Schiffskarten für die Ozeanüberfahrt besorgt – wer sollte jetzt an Stasls Stelle das Brot ausfahren? Die Kathl etwa, die ziemlich untauglich dafür war und nicht mit dem Pferd umgehen konnte? Oder gar der Lorenz, der sich noch weniger dazu eignete und dem er doch nicht zumuten konnte, seinen Verdienst aufzugeben?
In seiner Bedrängnis kam der Maxl in jenen ungewiß kritischen Tagen sogar auf den sonderbaren Gedanken, dem alten Kastenjakl, wenn er nun wirklich komme, das Brotausfahren beizubringen, doch je mehr er es überlegte, um so unmöglicher erschien es ihm. Es blieb zunächst nur der eine Ausweg: Er selber mußte es übernehmen.
Der Kastenjakl aber tauchte nicht auf in Berg. Niemand konnte sich das erklären, und als nach wieder einer Woche endlich bekannt geworden war, wie er sich entschieden hatte, wunderte sich jeder Mensch in der weiten Pfarrei. Er nämlich war mit seiner winzigen Habe und dem wenigen Geld, das er nach langem Feilschen und Flehen gleichsam gnädiglich vom Siegl bekommen hatte, in einer Nacht aus dem »Schlößl« gegangen, war zum Klostermaier nach Aufkirchen gekommen und hatte die enge Dachstube des Wirtshauses bezogen. Seither ließ er sich nicht mehr sehen. Der Klostermaier fuhr einmal mit seinem Metzgerwägelchen nach Berg und unterhielt sich lange mit dem Maxl. Die zwei Männer einigten sich, denn sie verstanden einander aufs beste. Dreißig Mark verpflichtete sich der Maxl monatlich zu zahlen. Dafür bekam der alte Kastenjakl das tägliche Essen und brauchte keine Miete zu entrichten. Er erfuhr nichts davon, sträubte sich anfänglich heftig gegen die »Gutmütigkeit« des Wirtes und schickte sich schließlich darein.
Immer mehr verbarg er sich vor den Menschen, immer schrulliger wurde er. Wenn die alte Magd seine Kammer aufräumen wollte, schob er sie zur Tür hinaus und keifte bösartig: »Fort, du Hexe! Weg mit allen alten Weibern! Mir graust! Fort, sag’ ich! Fort du Furie, du gräusliche!« Die Magd kam empört in die Wirtsstube hinunter und beklagte sich bitter. Der Klostermaier schimpfte den alten Sonderling aus. Der aber ließ ihn toben, grinste, lugte auf den massigen Wirt und sagte ruhig: »Nein-nein, mein Verstand ist noch ganz und gar richtig, nein-nein! Ich mag bloß keine verhutzelten alten Weiber. Sie stinken und verderben mir den ganzen Tag, Klostermaier … Die schaun aus wie der Tod! … Ich will sie nicht sehn!«
Der Klostermaier hielt kurz inne und musterte ihn sonderbar verdutzt.
»Wenn ich schon nichts mehr hab’, so möcht’ ich wenigstens nette junge Gesichter sehn, Klostermaier«, sagte der Kastenjakl wiederum und lächelte verrannt. Er wechselte den Ton und meinte fast bittend: »Das ist doch gewiß nicht zuviel verlangt, oder?«
»Gut, narrischer Tropf, narrischer! Mir soll’s recht sein!« erwiderte der Wirt und ging. Von da ab brachte die junge Klostermaiertochter oder die Kellnerin dem Kastenjakl den Kaffee in der Frühe und das Essen zu Mittag. Der schrullige Alte lächelte seltsam beglückt, wenn so eine Jungfrau in die Kammer trat. Sein bartverhangener, zahnloser Mund stand offen und zeigte in den Winkeln ein bißchen weißen Speichel. Die kleinen umfalteten Augen bekamen einen unruhigen Glanz, und sein gebückter, gichtverzogener Körper geriet in Bewegung. Er rieb sich unablässig die Hände und umschwirrte die unbeteiligt dreinschauende Jungfer mit gleichsam tänzelnden Schritten.
»Hähähä! Hähähä!« blökte
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