Das Leben meiner Mutter (German Edition)
er wie ein Ziegenbock. »Hähähä! Ein nettes Gesichterl, zwei feste Brüsterl, ein rundes Arscherl – hähähä, so was gibt einem alten Mann wieder Saft und Kraft! … Hähä, Fanny, hä!« Zuweilen kam es auch vor, daß er mit seinem dürren, steifgereckten Zeigefinger geschwind den Arm, die Brust oder das pralle Hinterteil der Jungfer betupfte, noch erregter blökte, und den Finger wie bohrend fester auf die getroffene Körperstelle drückte.
»Geh weg, damischer Tropf, damischer!« sagte dann meistens die Jungfer und gab ihm einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen, aber man merkte, daß sie das lächerliche Betasten nicht übelnahm. Die Klostermaier-Fanny schaute dann stets, daß sie schnell aus der Kammer kam. Die lustige Kellnerin hingegen lachte dreist und spöttelte: »No, alter Geißbock! Juckt dich schon wieder der Haber!« Und sie drohte, dem Alten den Kaffee oder die Suppe ins Gesicht zu schütten, wenn er keine Ruhe gebe. Aber auch das war gutmütig gemeint und schien dem Kastenjakl Spaß zu machen.
»Hähähä! Ein Malefiz-Weibsbild, ein couragiertes bist du, Wally! So was mag ich, hähähä!« plapperte er, grimassierte und gestikulierte noch heftiger, bis sie aus der Kammer war. Solche Szenen, die sich täglich wiederholten, hatten – obgleich sie sich stets in gleicher Weise abspielten – etwas von einer fast unnatürlichen Obszönität. Allein gelassen, stand der Kastenjakl noch eine Weile da, grinste häßlich und meckerte halblaut vor sich hin. Plötzlich zuckte er zusammen, ein kurzes Zittern überrieselte seine ganze Gestalt, und sein verwüstetes Gesicht verfiel wieder in die alte, boshafte Grämlichkeit.
Anfangs glaubte man beim Klostermaier, der Kastenjakl sei nicht mehr ganz bei Verstand, und es läßt sich denken, daß auch dem Maxl angst und bang wurde, als er davon erfuhr. An wem blieb denn zu guter Letzt alles hängen? An ihm! Die Kosten für eine dauernde Unterbringung des alten Mannes in einer Irrenanstalt aufzubringen, das ging über seine Kraft.
Zum Glück aber stellte sich nach und nach heraus, daß der alte Sonderling gleich und gleich blieb und niemanden durch seine harmlosen Schrullen störte. Man hielt ihn allerorts für spinnert, aber man gewöhnte sich an ihn. Die Berger beruhigten sich allmählich. Sie vergaßen den Kastenjakl. Er existierte eigentlich nur noch für die Klostermaiers. Er gehörte mit der Zeit zu ihrem Haus wie etwa die Tauben in dem Kobel und die nistenden Schwalben in dem Stall. Sie mochten ihn sogar gern und fanden, wenn sie überhaupt davon erfuhren, seine absonderlichen Einfälle unterhaltlich. Zum Wirt hatte er einiges Zutrauen. Zweierlei, sagte er zu diesem einmal, müsse er vor dem Abkratzen noch fertig bringen: ein ›Vollständiges Kurierbuch für Menschen und für das Vieh, anwendbar bei allen vorkommenden Krankheiten‹ und das ›Echte Protokoll, worin nachweislich gesagt wird, wo die Grafs herkommen‹. Der Maxl erzählte in seinen späteren Jahren manchmal, daß das Kurierbuch, welches der Kastenjakl mit der linken Hand geschrieben haben soll, in der Königlich Bayrischen Staatsbibliothek zu München aufbewahrt sei. Vom ›Protokoll‹, das viele für apokryph oder – sagen wir – für erfunden halten, hat sich nur einiges auffinden lassen.
Mehr verlangte der Kastenjakl vermutlich nicht mehr vom Leben. Die Klostermaiers erwiesen ihm allerhand kleine Guttaten. Am meisten Freude konnte man ihm machen, wenn man ihm Wachskerzen, Schwefelhölzer, Tinte, Federn, Papier und Rauchtabak schenkte. Er ging höchstens einmal in einer dunklen, sternenlosen Nacht ins Freie. Leise schlich er sich aus dem Haus, und ebenso unbemerkt kam er wieder zurück.
In seiner armseligen, unaufgeräumten verwahrlosten Kammer standen ein schmales, schmutziges, meist ungemachtes Bett, ein alter Schrank, den er stets sorgfältig verschloß, ein Sessel und ein Tisch, auf dem, ebenso wie auf dem verstaubten Boden rundum, teils vollgeschriebene, teils zerknüllte Papiere lagen. Es roch nach stickigem Moder und kalter Tabakasche. Nur hin und wieder, wenn alle längst schliefen, öffnete der alte Mann das einflügelige Fenster, schaute lange in den sternklaren Nachthimmel und brümmelte vor sich hin. Dann wieder tappte er stundenlang in der Kammer auf und nieder, redete bald schneller, bald langsamer, bald leiser oder lauter, hielt inne, schien zu überlegen und begann von neuem. Offenbar war ihm jede Zeiteinteilung zuwider. Er schlief wenig und machte keinen
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