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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Kundgebung sein?«
    »Weiß ich nicht.«
    Bob ließ den Kopf nach vorn fallen, schloss die Augen.
    Nach einer Weile fragte Susan: »Betest du, oder bist du tot?«
    Bob öffnete die Augen wieder. »Erinnerst du dich, als wir mal mit Zach und Jims Kindern im Freilichtmuseum in Sturbridge waren? Diese grauenhaft bigotten Frauen mit den blöden Hauben auf dem Kopf, die einen herumführen? Ich bin ein selbstverachtender Puritaner.«
    »Ein selbstverachtender Spinner bist du«, erwiderte Susan. Sie wurde immer unruhiger, mit gerecktem Hals versuchte sie durch das verdunkelte Fenster der Eingangstür zu spähen. »Was dauert denn da so lange?«
    Es dauerte in der Tat. Sie saßen fast drei Stunden im Vorraum. Bob ging einmal vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Es war längst dunkel. Als der Kautionsbeauftragte endlich eintraf, fühlte sich Bob von seiner Erschöpfung umschlossen wie von einem schweren nassen Umhang. Susan zahlte zweihundert Dollar in Zwanzigern, und Zach kam in den Vorraum, kalkweiß im Gesicht.
    Sie gingen schon zum Ausgang, als ein Uniformierter sagte: »Da draußen ist ein Fotograf.«
    »Wie kann das sein?« Panik klang in Susans Stimme auf.
    »Ganz ruhig. Komm, Partner, auf in den Kampf.« Bob schob Zach zur Tür. »Dein Onkel Jim liebt Fotografen. Das wird ein harter Schlag für ihn – du als die neue Rampensau der Familie!«
    Und vielleicht fand Zach es tatsächlich komisch, vielleicht war es nur die weichende Anspannung, jedenfalls lächelte der Junge Bob zu, als er über die Schwelle trat. Aus der kalten Dunkelheit zuckte ein Lichtblitz.

3
    Dieses erste sanfte Anbranden der Tropenluft – Helen spürte es in dem Moment, als sich die Flugzeugtür öffnete. Schon während ihr Gepäck ins Auto geladen wurde, umschmeichelte die Wärme sie wie ein Bad. Sie fuhren vorbei an Häusern, aus deren Fenstern sich Blütenkaskaden ergossen, an gestriegelten grünen Golfplätzen, und vor ihrem Hotel rauschte ein Springbrunnen, dessen Wasser in weichem Bogen zum Himmel stieg. Auf dem Tisch in ihrem Zimmer stand eine Schale mit Zitronen. »Jimmy«, sagte Helen, »ich fühle mich wie eine Braut.«
    »Das ist schön.« Aber er war nicht bei der Sache.
    Sie kreuzte die Arme so, dass ihre Hände auf ihren Schultern zu liegen kamen (ihre geheime Zeichensprache seit vielen Jahren), und endlich reagierte ihr Mann.
    In der Nacht hatte sie Alpträume. Sie waren intensiv, grauenvoll, und Helen kämpfte sich an die Oberfläche, als die Sonne erste Strahlen zwischen den langen Vorhängen hindurchschickte. Jim brach schon zum Golfspielen auf. »Schlaf weiter«, sagte er und küsste sie. Als sie das nächste Mal aufwachte, war das Glücksgefühl zurückgekehrt, so hell wie die Sonne, die nun durch die schweren Vorhänge stach. Wie geplättet vor Glück lag sie da, streckte ein Bein über das kühle Laken und dachte an ihre Kinder – auf dem College inzwischen, alle drei. Sie würde ihnen eine Mail schreiben: Meine Goldschätze, Dad spielt Golf, und eure alte Mutter wird sich jetzt gleich die Sonne auf ihre Krampfadern scheinen lassen. Dorothy ist so miesepetrig, wie ich befürchtet hatte – Dad sagt, ihre Älteste, Jessie (die du ja nie leiden konntest, Emily), macht ihnen schrecklichen Kummer. Aber gestern beim Essen wurde kein Wort darüber verloren, und ich habe mir artig verkniffen, mit meinen Prachtkindern anzugeben. Stattdessen haben wir über euren Cousin Zach geredet – mehr darüber später! Ich vermisse dich, und dich, und dich …
    Dorothy saß lesend am Pool, die langen Beine hochgelegt. »Morgen«, sagte sie, ohne aufzublicken.
    Helen drehte einen Stuhl der Sonne zu. »Hast du gut geschlafen, Dorothy?« Sie setzte sich hin und holte Sonnenmilch und ein Buch aus ihrer Strohtasche. »Ich hatte furchtbare Alpträume.«
    Mehrere Sekunden verstrichen, bevor Dorothy von ihrer Zeitschrift hochsah. »Wie bedauerlich.«
    Helen rieb sich die Beine ein, legte ihr Buch zurecht. »Übrigens, du musst kein schlechtes Gewissen haben, dass du nicht mehr zum Lesezirkel kommst.«
    »Keine Sorge.« Dorothy ließ die Zeitung sinken und starrte auf das glitzernde Blau des Swimmingpools. Sie sagte versonnen: »Viele Frauen in New York sind gar nicht dumm, bis man sie auf einem Haufen sieht, und dann sind sie’s plötzlich. Nicht zum Aushalten.« Sie sah zu Helen herüber. »Tut mir leid.«
    »Muss es nicht«, sagte Helen. »Sag, was immer dir in den Sinn kommt.«
    Dorothy kaute auf ihrer Lippe, den Blick wieder auf die blaue

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