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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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etwas essen wolle, fragte sie. Es müsse noch Tiefkühlpizza da sein. Oder Baked Beans. Hotdogs.
    »Nein.« Er dachte nicht daran, ihre Tiefkühlpizza zu essen. Oder Bohnen aus der Dose.
    Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass so kein normaler Mensch lebte, auch nicht annähernd, dass er sie deshalb seit fünf Jahren nicht mehr besucht hatte: weil er es nicht aushielt bei ihr. Andere Leute, wollte er ihr sagen, kamen nach einem anstrengenden Tag nach Hause, gossen sich einen Drink ein, kochten Essen. Sie drehten die Heizung auf, redeten miteinander, riefen Freunde an. Jims Kinder waren pausenlos die Treppen rauf- und runtergepoltert: Mom, hast du meinen grünen Pulli gesehen; sag Emily, sie soll endlich den Föhn rausrücken; Dad, du hast doch gesagt, ich muss erst um elf Uhr zurück sein; sogar Larry, der Stillste von ihnen, lachte: Onkel Bob, weißt du noch den Witz mit dem Tipi, den du mir erzählt hast, als ich noch ganz klein war? (Im Freilichtmuseum in Sturbridge, als sie alle am Schandpfahl die diversen Strafen ausprobierten: Mach ein Foto, mach ein Foto! Zachary, so dünn, dass ein einzelnes Loch im Fußblock für beide Beine ausreichte, still wie eine Maus.)
    »Muss er ins Gefängnis, Bobby?« Susan hatte zu stricken aufgehört und sah ihn an, plötzlich jung im Gesicht.
    »Ach, Susie.« Bob zog die Hände aus den Taschen, beugte sich vor. »Ich kann’s mir nicht vorstellen. Es ist ein Bagatelldelikt.«
    »Er hatte eine solche Angst in dieser Zelle. Ich hab ihn noch nie so verängstigt erlebt. Ich glaube, er würde sterben, wenn er ins Gefängnis müsste.«
    »Jim sagt, Charlie Tibbetts ist ganz große Klasse. Es wird alles gut, Susie.«
    Der Hund kam ins Zimmer, wieder mit diesem schuldbewussten Blick, als erwartete er Prügel dafür, dass er sein Hundefutter auffraß. Er legte sich hin und schob den Kopf über Susans Fuß. Bob konnte sich nicht erinnern, je einen so trübsinnigen Hund gesehen zu haben. Er dachte an den kleinen Kläffer, der in New York unter ihm wohnte. Er versuchte an seine Wohnung zu denken, an seine Freunde, seine Arbeit in New York – nichts davon erschien wirklich. Er sah zu, wie seine Schwester wieder nach ihrem Strickzeug griff, dann sagte er: »Was macht dein Job?« Susan arbeitete seit vielen Jahren als Augenoptikerin, und ihm wurde klar, dass er so gut wie gar nichts darüber wusste.
    Susan zog bedächtig an ihrer Wolle. »Wir Babyboomer kommen in die Jahre, da ist immer genug zu tun. Ich hatte auch schon Somalier da«, fügte sie hinzu. »Nicht viele, aber ein paar.«
    Eine Pause, dann fragte Bob: »Und wie sind die so?«
    Sie spähte zu ihm herüber, als vermutete sie eine Fangfrage. »Ein bisschen verdruckst für meinen Geschmack. Sie machen keine Termine aus. Und dann dieses Misstrauen. Sie wissen nicht, was ein Keratometer ist. Eine Frau hat reagiert, als ob ich sie verhexen wollte.«
    »Ich weiß auch nicht, was ein Keratometer ist.«
    »Niemand weiß, was ein Keratometer ist, Bob. Aber sie wissen, dass ich sie nicht verhexe.« Susans Stricknadeln nahmen Fahrt auf. »Manchmal fangen sie an, um den Preis zu verhandeln, das erste Mal war ich richtig sprachlos. Aber Feilschen gehört bei ihnen angeblich dazu. Kreditkarten lehnen sie ab. Kredit ist bei ihnen verboten. Falsch. Zinsen sind bei ihnen verboten. Sie zahlen alles mit Bargeld. Frag mich nicht, wo sie es herhaben.« Susan sah Bob an, schüttelte den Kopf. »Weißt du, es wurden einfach immer mehr und mehr, und die Gelder haben kaum ausgereicht, ich meine, sie haben nicht ausgereicht, die Stadt musste neue Mittel beim Staat beantragen, und wenn du bedenkst, wie unvorbereitet Shirley Falls war, dann wurden sie wirklich großzügig aufgenommen. Für die Liberalen ist es natürlich ein gefundenes Fressen, eine neue Mission können die immer brauchen – aber wem sag ich das, du bist ja selber einer.« Sie ließ die Nadeln sinken. Ihr Ausdruck hatte jetzt eine fast kindliche Ratlosigkeit, und auch das gab ihr etwas Junges. »Darf ich mal ehrlich sein?«, fragte sie.
    Er zog die Brauen hoch.
    »Was mir so auffällt, und ich verstehe es nicht, das sind die ganzen Leute hier in Shirley Falls, die allen auf die Nase binden müssen, wie toll sie den Somaliern helfen. Die Prescotts zum Beispiel. Die hatten früher ein Schuhgeschäft in South Market, inzwischen ist es vielleicht eingegangen, keine Ahnung. Aber Carolyn Prescott und ihre Schwiegertochter ziehen andauernd mit irgendwelchen Somalierinnen durch die Geschäfte und

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