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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Frisur und dem weiten Mantel hochblickte. Auch er stand auf. Sie war groß, aber er war größer, und er sah die grauen Wurzeln in ihrem streifigen dunkelblonden Haar, als sie den Kopf senkte, um in ihre Tasche zu greifen. Sie gab ihm eine Karte. »Rufen Sie jederzeit an«, sagte sie. »Im Ernst.«
    Bob blieb lange draußen auf den Verandastufen. Dann ging er hinein und saß in dem kalten Wohnzimmer. Er dachte an Mrs. Drinkwater, die sagte, dass Zach weinte. Er dachte an Susan, die Zach anschrie. Und er dachte, dass er bleiben sollte. Aber eine Dunkelheit türmte sich in ihm auf. Du hast nur Scheiße im Hirn.
    Als der Mann am Telefon ihm sagte, wie viel ihn ein Taxi von Shirley Falls bis zum Flughafen in Portland kosten würde, sagte Bob, es sei ihm völlig egal. »Sobald es geht«, sagte Bob. »Zur Hintertür. Ich warte draußen.«

Z WEITES B UCH

1
    Der Central Park trug dezente Herbstfarben: das Gras ein ausgeblichenes Grün, die Roteichen rostiges Braun, das Laub der Linden wechselte zu zartem Gelb, die Zuckerahorne verloren bereits orangerote Blätter, eins schwebte hier, dort fiel ein anderes, aber der Himmel war tiefblau und die Luft so warm, dass die Fenster des Bootshauses so spät am Nachmittag noch offen standen; die gestreiften Markisen reichten bis über das Wasser. Pam Carlson saß an der Bar des Restaurants und sah hinaus auf die wenigen Ruderboote, die über den See glitten, alle Bewegung scheinbar verlangsamt, selbst die Barkeeper arbeiteten mit ruhiger Gelassenheit, spülten Gläser, schüttelten Martinis, wischten nasse Hände an schwarzen Schürzen ab.
    Und auf einmal – wie von selbst – füllte sich das Lokal. Sie kamen zur Tür herein, Geschäftsleute legten ihre Jacken ab, Frauen warfen die Haare zurück, Touristen wagten sich vor, Bedenken im Blick, die Männer mit Rucksäcken, in deren Netztaschen Wasserflaschen steckten, als kämen sie von einer Bergtour, die Frauen mit einem Stadtplan, einem Fotoapparat in der Hand, den Insignien ihrer Unsicherheit.
    »Nein, da sitzt mein Mann«, sagte Pam, als ein deutsches Paar den Hocker neben ihr verrücken wollte. Sie besetzte ihn mit ihrer Handtasche. »Sorry«, fügte sie hinzu. Die Jahre in New York hatten sie viele Dinge gelehrt: rückwärts einzuparken beispielsweise, einen Taxifahrer kleinzukriegen, der nicht im Dienst sein wollte, Ware zurückzugeben, die vom Umtausch ausgeschlossen war, mit größter Gelassenheit zu sagen: »Bitte hinten anstellen«, wenn sich im Postamt jemand vordrängelte. Das Leben in New York, dachte Pam, während sie ihre Handtasche nach dem Mobiltelefon durchsuchte, das ihr als Uhr diente, illustrierte aufs Perfekteste eine Wahrheit, die sämtliche großen Generäle der Geschichte begriffen hatten: Der mit dem stärksten Willen setzt sich durch. »Einen Jack Daniels on the Rocks mit Zitrone«, sagte sie zu dem Barkeeper und tippte neben ihrem unberührten Glas Wein auf den Tresen. »Für meinen Mann. Danke.«
    Bob war nie pünktlich.
    Ihr richtiger Ehemann kam erst in ein paar Stunden nach Hause, und die Jungen waren beim Fußballtraining. Zu Hause störte es keinen, dass sie sich mit Bob traf. »Onkel Bob«, wie ihre Kinder ihn nannten.
    Pam kam direkt aus dem Krankenhaus, wo sie an zwei Tagen die Woche in der Aufnahme arbeitete, und eigentlich wäre sie sich gern die Hände waschen gegangen, aber wenn sie jetzt aufstand, schnappten sich die Deutschen ihren Platz. Laut ihrer Freundin Janice Bernstein – die vor Jahren ihr Medizinstudium abgebrochen hatte – konnte sie sich die Hände nach der Arbeit gar nicht schnell genug waschen; Krankenhäuser seien die reinsten Petrischalen für Bakterien, sagte Janice, und Pam gab ihr recht. Obwohl sie ständig Desinfektionslotion benutzte (die die Haut austrocknete), machte der bloße Gedanke an das riesige Arsenal lauernder Keime Pam ganz krank vor Sorge. Janice fand, dass zu viele Dinge Pam ganz krank vor Sorge machten, sie solle da ein bisschen aufpassen, nicht nur, um sich das Leben zu erleichtern, sondern weil man diese Überbesorgtheit auch als anbiedernd empfinden könne, und das sei uncool. Pam erwiderte, sie sei zu alt, sich Gedanken über ihre Coolness zu machen, dabei machte sie sich sehr wohl Gedanken darüber, und auch deshalb tat es immer wieder gut, Bobby zu sehen, der so uncool war, dass er – in Pams Vorstellung – in seinem ganz eigenen Reich der Coolness residierte.
    Ein Schweinekopf. Du liebe Güte.
    Pam setzte sich etwas anders hin, trank ein

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