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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Soll ich dir was vorsingen?«
    »Nein. Bist du betrunken?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Soll ich dir eine Geschichte erzählen?«
    Susan entschlummerte bei der Episode, als Jim in der vierten Klasse aus seinem Job als Schülerlotse geflogen war, weil er einen Schneeball geworfen hatte, und die anderen Schülerlotsen in den Streik traten, bis der Direktor ihn wieder zurückholte, wodurch Jim eine erste Ahnung von der Macht der Gewerkschaften bekam …

5
    »Als ob eine Schlaftablette Heroin wäre«, sagte Helen ein paar Tage später beim Laubharken im Garten. »Das ist doch verrückt.«
    »Das ist puritanisch.« Bob verlagerte sein Gewicht auf der schmiedeeisernen Bank.
    »Es ist verrückt.« Helen hörte auf zu harken, warf die Harke auf den Laubhaufen.
    Bob sah hinüber zu Jim, der mit verschränkten Armen vor der Hintertür stand. Neben Jim, schon in seine schwarze Plastikhülle verpackt, stand der große Gartengrill. Zusätzlich geschützt wurde dieser Grill, der erst im Sommer angeschafft worden war und der Bob so groß vorkam wie ein kleines Boot, durch die hölzerne Veranda, deren Stufen in den Garten hinunter mit Blättern bestreut waren. An der untersten Stufe lehnte eine Heckenschere. Von Bobs Platz aus sahen der mit Ziegelsteinen gepflasterte Gehweg und das kleine Rondell um das Vogelbad so ordentlich wie ein frisch geschorener Hinterkopf aus, aber der Rest des Gartens war noch übersät von den Blättern des Pflaumenbaums, und auch der Laubhaufen, in dem die Harke mit den Zinken nach oben gelandet war, harrte der Entsorgung. Aus einem Nachbargarten hörte man Kinderstimmen und das Prallen eines Balls. Es war Samstagnachmittag.
    »Ja, vielleicht klingt es verrückt«, sagte Bob. »Aber es ist das Erbe unserer puritanischen Vorfahren. Gut, die waren ja auch verrückt, irgendwie. Zu verrückt, um in England zu bleiben. Puritaner haben ein stark entwickeltes Schamgefühl«, fügte er hinzu. »Das muss man wissen.«
    »Meine Vorfahren nicht«, sagte Helen, die den Laubhaufen prüfend betrachtete. »Ich bin zu einem Viertel deutsch, zu zwei Vierteln englisch – nicht puritanisch – und zu einem Viertel österreichisch.«
    Bob nickte. »Mozart, Beethoven, eine gute Mischung, Helen. Aber Musik oder Theater waren uns Puritanern suspekt, weil das ›die Sinne erregt‹. Erinnerst du dich, Jimmy? Das hat Tante Alma uns immer gepredigt. Und Nana auch. Die waren stolz auf unsere Geschichte. Ich nicht. Im Gegenteil, man darf sagen, dass unsere Geschichte mir am Arsch vorbeigeht.«
    »Und wann gehst du zurück in dein Studentenwohnheim?« Jim hatte eine Hand auf den Griff der Hintertür gelegt.
    »Jim, hör auf«, sagte Helen.
    »Sobald ich den Whiskey ausgetrunken habe, den deine gastfreundliche Gattin mir kredenzt hat.« Bob leerte das Glas in einem Zug. Der Whiskey brannte ihm in der Kehle, in der Brust. »Ich dachte, wir wollten feiern, dass Zach die Anhörung überlebt und Charlie mildere Kautionsauflagen und eine Nachrichtensperre erreicht hat.«
    »Du hast Susan in den Schlaf gesungen?« Jim verschränkte wieder die Arme. »Ihr zwei könnt euch doch nicht riechen.«
    »In den Schlaf geredet hab ich sie. Und ja, du hast recht, deshalb war es ja auch so etwas Schönes. Es ist schön, wenn bösen Menschen Gutes widerfährt. Oder guten Menschen. Allen Menschen.« Er stand auf, warf sich die Jacke über die Schultern.
    »Danke für deinen Besuch«, sagte Jim obenhin. »Komm nächste Woche in der Kanzlei vorbei, dann planen wir die Sache mit der Kundgebung. Noch sind sie fleißig am Verschieben, aber wie’s aussieht, nicht mehr lang. Außerdem brauch ich mein Auto, du Pfeife.«
    »Wie oft muss ich mich noch entschuldigen«, sagte Bob. »Ich hab dir übrigens Informationen für deine famose Ansprache beschafft.«
    »Ich fahre nicht mit«, sagte Helen. »Jim hätte es gern, aber ich fahre nicht.«
    Bob drehte sich zu ihr um. Helen streifte die Gartenhandschuhe ab. Sie warf sie auf den Laubhaufen und strich sich das Haar nach hinten, in dem sich ein Blatt verfangen hatte. Ihre wattierte Jacke war nicht zugeknöpft und klaffte auf beiden Seiten auseinander, als sie die Hände in die Hüften stemmte.
    »Sie ist nicht der Meinung, dass die Situation ihre Anwesenheit erforderlich macht«, sagte Jim.
    »Richtig«, sagte Helen und ließ sie stehen, um ins Haus zu gehen. »Ich dachte, die Sache überlasse ich mal den Burgess-Boys.«

6
    Polizeichef Gerry O’Hare nahm auch eine Schlaftablette. Er öffnete das Fläschchen, das

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