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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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neben dem Bett stand, ließ sich eine in den Mund fallen und schluckte sie herunter. Bei ihm war es nicht Angst, die ihn am Schlafen hinderte, sondern das Gefühl, zu stark unter Strom zu stehen. Am Nachmittag hatte er in der City Hall eine Besprechung mit dem Bürgermeister, der Kleinen von der Generalstaatsanwaltschaft, Mitgliedern des Stadtrats, Kirchenvertretern und dem Imam gehabt, der natürlich dabei sein musste, nachdem die Somali so empört darüber gewesen waren, dass man sie nicht zu der Pressekonferenz gleich nach dem Vorfall gebeten hatte. Und jetzt erstattete Gerry seiner Frau Bericht, die schon im Bett lag. Er hatte den versammelten Leuten klargemacht, dass er sich auf seinen Job verstand, und sein Job war es, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Er hatte gesagt (und damit, mutmaßte er und nickte seiner Frau vielsagend zu, ein paar von diesen Hardcoreliberalen wie Rick Huddleston und Diane Dodge etwas Wind aus den Segeln genommen), dass laut jüngsten Studien rassistische Gewalt zurückging, wenn die Gemeinschaft darauf reagierte. Wenn Zwischenfälle nicht verfolgt wurden, ermutigte das die Bürger, die es auf rassistisch motivierte Straftaten anlegten. Jeder seiner Streifenbeamten, fügte er hinzu, habe ein Foto von Zachary Olson einstecken, damit sie ihn gleich erkannten, wenn er sich der Moschee in der Gratham Street auf weniger als zwei Meilen näherte.
    Das Treffen hatte fast drei Stunden gedauert, und es waren reichlich Spannungen kreuz und quer durch den Raum geschossen. Rick Huddleston (der den Vorstandsposten des Büros gegen Rassendiffamierung nur deshalb bekleidete, weil er den Laden mit seinem vielen Geld gegründet hatte) musste sich natürlich über jeden nicht gemeldeten Zwischenfall ereifern – »Ich rede nicht von nicht gemeldeten Zwischenfällen, sondern von nicht verfolgten«, hatte Gerry ihn unterbrochen – , aber Rick, durch nichts zu bremsen oder von seinem Vorhaben abzubringen, verbreitete sich weiter über die mutwillige Beschädigung somalischer Schaufenster, aufgeschlitzte Autoreifen, rassistische Verunglimpfungen, die Frauen auf Parkplätzen nachgerufen bekamen, verbale und auch körperliche Übergriffe unter Schülern. »Ich stelle mich nicht hier hin«, hatte Gerry gesagt, »und tue so, wie vielleicht einige von Ihnen, als existierten keine Trennlinien innerhalb der somalischen Gemeinschaft. Wir wissen, dass einige dieser Verunglimpfungen von ethnischen Somali gegen Bantu-Somali gerichtet waren, oder auch gegen Landsleute anderer Clans.« Da war Rick Huddleston der Kragen geplatzt – dem piekfeinen Yale-Absolventen Huddleston, der, wie Gerry seiner Frau erklärte, die Verfolgung vorurteilsmotivierter Straftaten nur deshalb so vehement betrieb, weil es sich bei ihm, trotz einer ausgesprochen hübschen Mrs. Huddleston und dreier piekfeiner kleiner Töchterlein, eben doch um eine heimliche Schwuchtel handelte. Rick platzte also der Kragen, und er warf Gerry vor, der somalischen Gemeinschaft in der Vergangenheit keinen ausreichenden Schutz gewährt zu haben, und das sei der Grund, rief er feuerrot im Gesicht und knallte sein Glas so heftig auf den Tisch, dass es überschwappte, das sei der Grund, warum der Vorfall diese überwältigende mediale Aufmerksamkeit bekam, regional, national, ja sogar (als wäre Gerry ein Dummbeutel, der weder Zeitung las noch die Nachrichten anschaute) international.
    Ein Stadtrat verdrehte die Augen. Diane Dodge, fade wie Weißbrot, quittierte das Gesagte mit wichtigem Kopfnicken. Und dann konnte Rick es sich tatsächlich nicht verkneifen, sein Taschentuch zu zücken und das verspritzte Wasser gründlichst aufzuwischen, damit bloß keine stumpfen Flecken auf dem Konferenztisch zurückblieben, obwohl der (Gerry zwinkerte seiner Frau zu) so alt wie der Sarg seines Großvaters und aus geleimtem Schichtholz gezimmert war. Ein anderer Stadtrat, Dan Bergeron, verstieg sich zu der These, die eigentlich Schuldigen an der großen Publicity seien die Leute vom Washingtoner Rat für Islamische Angelegenheiten, die sich ihre Viertelstunde im Rampenlicht holen mussten, wo sie sie kriegen konnten.
    Die ganze Zeit hatte der Imam stumm dabeigesessen.
    »Macht ihr euch gar keine Sorgen um Ausschreitungen bei der Kundgebung? Was ist mit dieser Rassistengruppe?« Gerrys Frau stellte die Frage vom Bett aus, wo sie saß und sich die Hühneraugen mit einer scharf riechenden Paste bepinselte.
    »Das ist ein Gerücht. Niemand kommt den ganzen Weg von Montana

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