Das Leben und das Schreiben
hundertprozentig nicht James Caan). Dieser Schriftsteller gerät in die Klauen eines psychisch kranken Fans, der irgendwo im hinterletzten Winkel am Ende der Welt auf einer Farm lebt. Es handelte sich um eine Frau, die von ihren Wahnvorstellungen in die Einsamkeit getrieben wird. Sie hält ein paar Tiere in der Scheune, darunter ihr Lieblingsschwein Misery. Sie hat es nach der Hauptfigur in den erfolgreichen Liebesromanen des Autors benannt. Beim Aufwachen konnte ich mich am klarsten an etwas erinnern, das die Frau zu dem Schriftsteller sagt, den sie mit seinem gebrochenen Bein im hinteren Schlafzimmer gefangen hält. Um diesen Satz nicht zu vergessen, schrieb ich ihn auf eine Serviette der American Airlines und steckte sie mir in die Jackentasche. Ich habe die Serviette dann irgendwo verloren, aber ich weiß noch fast genau, was ich auf ihr festhielt:
Sie redet ernst, aber nimmt nie wirklich Blickkontakt mit ihm auf. Eine große Frau, sehr kräftig und stabil; sie ist ein fehlender Hiatus (was immer das auch heißen sollte; vergessen Sie nicht, ich war gerade aufgewacht). »Ich wollte mich nicht in gemeiner Weise über Sie lustig machen, als ich mein Schwein Misery nannte. Nein, Sir. Denken Sie das bitte nicht. Nein, ich habe ihm den Namen im Gefühl meiner Verehrung gegeben, der reinsten Form der Liebe. Sie sollten sich geschmeichelt fühlen.«
Tabby und ich wohnten im Brown’s Hotel in London, und in der ersten Nacht konnte ich einfach nicht einschlafen. Das lag teilweise an den Geräuschen aus dem Zimmer genau über uns, die nach drei kleinen Mädchen beim Kunstturnen klangen, teilweise mit Sicherheit an der Zeitumstellung, aber nicht unwesentlich auch an der Serviette aus dem Flugzeug. Darauf gekritzelt stand der Keim einer Geschichte, die meiner Ansicht nach wirklich hervorragend werden konnte, lustig und satirisch, aber auch Angst einflößend. Sie war zu gut, um nicht geschrieben zu werden, dachte ich.
Ich stand auf, ging nach unten und fragte den Portier, ob es einen ruhigen Platz im Hotel gebe, an dem ich ein bisschen arbeiten könne. Er führte mich zu einem wunderschönen Schreibtisch auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock. Das sei einmal der Schreibtisch von Rudyard Kipling gewesen, verriet er mir mit vielleicht gerechtfertigtem Stolz. Diese Offenbarung schüchterte mich ein wenig ein, aber der Ort war still, und der Schreibtisch sah recht einladend aus; vor allem hatte er eine riesengroße Arbeitsfläche aus Kirschbaum. Gestärkt von einer Tasse Tee nach der anderen (den trank ich bei der Arbeit eimerweise … wenn ich kein Bier trank, heißt das), füllte ich sechzehn Seiten eines Stenoblocks. Ich schreibe gern mit der Hand, das einzige Problem dabei ist nur, dass ich den in meinem Kopf entstehenden Zeilen nicht schnell genug folgen kann, wenn ich richtig in Fahrt bin, und mich das fix und fertig macht.
Als ich aufgehört hatte, ging ich kurz in der Eingangshalle vorbei, um dem Portier noch einmal zu danken, dass ich Mr. Kiplings herrlichen Schreibtisch benutzen durfte. »Es freut mich sehr, dass er Ihnen gefallen hat«, antwortete er. Er lächelte wehmütig, als hätte er den Schriftsteller noch selbst gekannt. »Kipling ist an dem Tisch gestorben. Schlaganfall. Beim Schreiben.«
Ich ging zurück nach oben in mein Zimmer, um noch ein paar Stunden zu schlafen. Wie oft, dachte ich, werden uns Dinge erzählt, auf die wir wirklich hätten verzichten können.
Der Arbeitstitel meiner Geschichte, aus der meiner Einschätzung nach ein Kurzroman von ungefähr 30 000 Wörtern werden würde, lautete »The Annie Wilkes Edition«. Als ich mich an Mr. Kiplings herrlichen Schreibtisch setzte, stand die Ausgangssituation – verletzter Autor, verrückter Fan – schon in meinem Kopf fest. Zu dem Zeitpunkt existierte die richtige Geschichte noch nicht (gut, eigentlich schon, aber als verborgenes Relikt in der Erde, sechzehn handbeschriebene Seiten ausgenommen), aber ich musste sie gar nicht kennen, um mich ans Werk zu machen. Ich hatte das Fossil entdeckt; der Rest war nichts anderes als vorsichtige Ausgrabungsarbeit.
Ich nehme mal an, was bei mir funktioniert, könnte bei Ihnen genauso gut klappen. Wenn Sie Sklave der ermüdenden Tyrannei eines Handlungsentwurfs und eines Notizbuchs voller »Charakterskizzen« geworden sind oder sich davor fürchten, kann meine Methode Sie womöglich befreien. Zumindest wird sich Ihr Verstand dadurch mit interessanteren Dingen beschäftigen als mit dem Entwickeln der
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