Das Leben und das Schreiben
»Alles klar bei dir?«
»Willst du wissen, ob ich zurechtkomme?«
»Ich meine das Geschäft. Wie läuft’s? Ich weiß, dass du gut warst in Get Leo , wirklich starker Film, unheimlich stark. Aber weißt du was? Der war sogar gut. Aber was ist mit der Fortsetzung – wie hieß die noch mal?«
»Get Lost.«
»Genau, jetzt weiß ich es wieder: Bevor ich mir den ansehen konnte, war er schon wieder raus.«
»Der legte nicht so klasse los, da hat sich das Studio verabschiedet. Ich wollte von Anfang an keine Fortsetzung drehen. Aber der Typ, der bei Tower für die Produktion verantwortlich ist, der meinte, sie würden den Film auf jeden Fall machen, mit mir oder ohne mich. Da dachte ich, na ja, wenn ich ne gute Story bekomme …«
Zwei Männer essen zu Mittag in Beverly Hills, und wir wissen sofort, dass es Schauspieler sind. Vielleicht sind es Aufschneider (vielleicht auch nicht), aber im Kontext von Leonards Geschichte nehmen wir ihnen ihren Beruf ab. Wir empfangen sie sogar mit offenen Armen. Ihre Unterhaltung klingt so echt, dass wir uns ein wenig schuldig fühlen und zugleich heimliches Vergnügen verspüren, so wie jemand, der ein interessantes Gespräch erst zufällig mitbekommt und dann belauscht. Und wir bekommen eine Vorstellung von den Charakteren, wenn auch nur eine grobe. Wir befinden uns am Anfang des Romans (genau gesagt, auf Seite zwei), und Leonard ist ein alter Profi. Er weiß ganz genau, dass er nicht alles auf einmal verraten darf. Erfahren wir nicht trotzdem etwas über Tommys Charakter, wenn er Chili versichert, Get Leo sei nicht nur stark, sondern sogar gut
Wir könnten uns fragen, ob dieser Dialog lebensecht ist oder nur einer bestimmten Lebensvorstellung entspricht, einem Stereotyp von Hollywood-Schauspielern, Hollywood-Essen und Hollywood-Geschäften. Diese Frage ist durchaus berechtigt, und die Antwort lautet: schon möglich. Dennoch klingt die Szene in unseren Ohren lebensecht. Wenn er in Bestform ist ( Schnappt Chili ist zwar ganz unterhaltsam, aber Leonard kann es viel besser), kann Elmore Leonard eine Art Gassenpoesie hervorbringen. Das für solche Dialoge notwendige Stilgefühl hat sich durch jahrelange Übung entwickelt; zur Kunst wird es durch die harte, aber mit Freude arbeitende kreative Fantasie.
Wie in allen Bereichen von Prosa ist Glaubwürdigkeit der Schlüssel zu guten Dialogen. Wenn Sie die Worte, die Ihre Figuren von sich geben, authentisch niederschreiben, werden Sie schnell merken, dass Sie reichlich Kritik auf sich ziehen. Es vergeht keine Woche, in der ich nicht mindestens einen giftigen Brief erhalte (meistens ist es mehr als einer), in dem ich beschuldigt werde, mich unflätig auszudrücken, bigott, homophob, blutrünstig, frivol oder geradeheraus psychopathisch zu sein. Größtenteils schwillt meinen Brieffreunden der Hals, wenn sie Aussagen wie die Folgenden lesen: »Wir sollten uns jetzt schnellstens aus Dodge verpissen« oder »Wir wollen hier nichts mit Niggern zu tun haben« oder »Was glaubst du eigentlich, was du da tust, du schwule Sau?«
Meine Mutter, Gott hab sie selig, hielt nichts von Flüchen oder ähnlichen Kraftausdrücken; bei ihr hieß das »die Sprache der Unwissenden«. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, laut »O Scheiße!« zu rufen, wenn der Braten verkohlt war, oder sie sich kräftig auf den Daumen schlug, wenn sie mit dem Hammer einen Bilderhaken in die Wand hauen wollte. Auch hindert das die meisten Menschen nicht, Christen wie Heiden, etwas Ähnliches (oder Schlimmeres) verlauten zu lassen, wenn der Hund auf den Teppich gekotzt hat oder das Auto vom Wagenheber rutscht. Aufrichtig zu sein, ist wichtig – es hängt so viel davon ab, wie William Carlos Williams beinahe gesagt hätte, als er über die rote Schubkarre schrieb. Den Anstandslegionären gefällt das Wort Scheiße möglicherweise nicht, Ihnen gefällt es vielleicht auch nicht besonders, aber manchmal bleibt einem nichts anderes übrig. Kein kleiner Junge rennt zu seiner Mutter und meldet, die kleine Schwester habe gerade in der Badewanne Stuhlgang gehabt . Vielleicht sagt er hat gemacht oder hat gedrückt , aber mit hat gekackt liegen wir wohl ziemlich richtig, befürchte ich (kleine Leute haben schließlich große Ohren).
Sie müssen authentisch sein, wenn Ihre Dialoge denn nachhallend und realistisch wirken sollen, wie es in Das Tribunal leider nicht der Fall ist, obwohl die Geschichte wirklich gut ist. Und diese Aufrichtigkeit gilt auch für das, was Menschen von sich geben,
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