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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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ein paar Tage wird er da wohl noch verweilen, also klappt das schon noch. Brauch ich doch für mein Tagebuch.

    Freitag, 20. August 2010
    Gestern hatte er wieder so hohes Fieber. Ich könnte abkotzen! Die Unterhaltung mit ihm klappte aber gut, Sprache klar und deutlich, kleine Scherze wurden gemacht. Gefuttert hat er mit großem Appetit. Aber Kopfschmerzen und immer wieder Fieber! Als wir gingen, hatte er 39.
    Abends riefen wir noch einmal an. Da war das Fieber leicht gesunken. Heute Morgen steht noch einmal ein MRT an, ob alles in Ordnung ist bzw. die Wunde NOCH einmal geöffnet werden muss.
    Eben erleichterter Anruf vom Sohn, (erst einmal!) alles okay, muss nicht geöffnet werden.
    Bis Anfang der Woche verbleibt er aber noch auf der Intensivstation. Ist vielleicht auch besser und er unter ständiger Beobachtung.
    Es geht und geht nicht recht vorwärts! Das dauert und dauert, aber nun heißt es, weiterhin Geduld haben und ihm die Zeit für die Abheilung zu geben. Die Strahlenbehandlung verzögert sich immer mehr. Es ist zum Mäusemelken!
    Abends:
    Besuch war ähnlich wie gestern. Fieber, um die 38. Angeblich ummantelte Wasseransammlungen im Kopf, sagte uns der Arzt, die nicht weiter gefährlich wären, aber entweder punktiert werden sollen, damit das Wasser abläuft bzw. der Körper schafft es selbst, sie zu bekämpfen. Deshalb das Fieber, weil ja die gesunden Zellen gegen diese Wasserdinger gewinnen wollen.
    Völlig kraftlos ist der Junge, stellt er sein Kopfteil hoch und will essen, schlägt seine Herzrhythmus-Anzeige schon verrückt. Mit Anstrengung ist da noch nichts. Nur gut, dass er sich vorher schon so ein dickes Polster „angefressen“ hatte.
    Ansonsten ist er ruhig und nicht „ungnädig“. Findet natürlich auch alles „Scheiße“, aber ist froh, dass sie ihm momentan nicht noch mal „den Schädel aufkloppen“, wie er es formuliert.
    Wir lachen auch viel, das heißt, ich bin eigentlich von uns die Einzige, die Scherze mit ihm macht, was er genießt. Hoffentlich verweisen sie mich nicht bald von der Intensiv-Station. Ja, aber soll ich ihn denn schon Traueranzeigen formulieren lassen? Auch über die Prozedur beim Wasserlassen und die damit verbundene nicht immer zufriedenstellende Treffsicherheit ist ständig ein Grund, Scherze zu machen. Im Auto auf der Hinfahrt sprach ich meinen Wunsch für heute aus: „Ich wünsche mir, dass er heute keine Kopfschmerzen hat und Temperatur um die 37!“
    Man wird ja bescheiden in seinen Wünschen. Aber wenigstens die Kopfschmerzen waren weg.
    Waren dann zwischendurch im Bärenpark, um mal was anderes zu sehen als Schläuche, piepsende Gerätschaften und gefüllte „Enten“. Anschließend fuhren wir nochmals zu ihm, ließen ihn dann noch eine Weile mit seiner „Liebsten“ allein und ab ging es dann wieder Richtung Heimat.
    Der nächste Eintrag erfolgt, wenn es was Neues zu berichten gibt.

    Ich halte für einen Augenblick inne. Ein paar Tränen schleichen sich in meine Augenwinkel, trotzdem ist es nicht dieselbe Verzweiflung, nicht derselbe unerträgliche Schmerz wie sonst. Zum ersten Mal seit unserem Verlust schaffe ich es, die Erinnerungen für einen längeren Zeitraum zuzulassen. Und nicht nur das, es gelingt mir, die Erinnerungen aus Mamas Blickwinkel zu betrachten.
    Ob es tatsächlich allein die Gewissheit ist, Bastian bald wiederzusehen, die mir diese Kraft gibt?
    Ich schließe Mamas Datei. Für heute ist es genug. Die Erinnerungen an diese Zeit, die endlich auch wieder ein paar Lichtblicke zulassen, brauchen Ruhe, um zu gedeihen.
    Sehr viel Ruhe.

    *

    So viele Sinne eine kreative Seele auch ausfüllen mag, Orientierung gehörte für mich nie dazu. Während ich ziellos auf den Fluren umherirre und den Haupteingang suche, scheint sich mein Herz regelrecht zu überschlagen.
    „Ich bin mit Max vor dem Haupteingang.“
    Bastians Worte liegen mir noch immer in den Ohren. Nur ein kurzer Anruf, der mich in Aufruhr versetzt.
    Als ich die Tür zur Verbindungsstation öffne, halte ich für einen Moment den Atem an. Mit einem Schlag sind sie wieder da, die Erinnerungen und mit ihnen die Antwort auf die Frage, warum ich diesen Flur bisher gemieden habe: Martins ehemalige Station.
    Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass mir allein der Gedanke, Bastian am anderen Ende des Gebäudes zu begegnen, die Kraft gibt weiterzugehen.
    Ist es wirklich das erste Mal seit damals, dass ich diesen Flur betrete?
    Ein Lächeln huscht über meine Lippen, während ich meine Schritte

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