Das lebendige Theorem (German Edition)
zusammengesetzter Funktionen ergibt; sie war so kompliziert, dass wir sie mit Gelächter begrüßt haben und er sich mit jämmerlicher Miene und etwas Selbstironie entschuldigen musste: »Lachen Sie nicht, sie ist sehr nützlich!«
Diese Formel ist tatsächlich nützlich, er hatte recht: Dank ihr ist meine mysteriöse Ungleichung wahr!
Aber man muss Geduld haben. Ich schwöre (vor Boltzmann, Knuth und Landau zusammen), dass sie mir sechzehn Jahre lang zu überhaupt nichts genützt hat, die Formel, so dass ich sie schließlich bis hin zu ihrem immerhin nicht ganz alltäglichen Namen vergessen habe.
Aber Folgendes blieb in einem Winkel meines Gehirns: Es gibt eine Formel für die Ableitungen zusammengesetzter Funktionen … Mit Google und Wikipedia brauchte ich nur ein paar Momente, um sowohl den Namen der Formel als auch die Formel selbst wiederzufinden.
Jedenfalls ist das Erscheinen der Formel von Faà de Bruno symptomatisch für die unerwartete kombinatorische Wendung, die unsere Arbeit nimmt; meine Entwürfe, die gewöhnlich mit Cello-Schalllöchern bedeckt sind (Integrale: ∫ – ich habe schon so viele davon geschrieben, dass mir das Wort automatisch einfällt, sobald ich mich konzentriere!), meine Entwürfe sind diesmal voller Exponenten in Klammern (mehrfache Ableitungen: f (4) = f ’’’’) und Ausrufezeichen (Fakultäten: 16! = 1 × 2 × 3 × 4 × … × 16).
Im Grunde stehe ich im Einklang mit der Jahreszeit: Während die Kinder aufgeregt ihre Weihnachtsgeschenke auspacken, hänge ich Exponenten an die Funktionen wie Kugeln an Tannenbäume, und ich reihe die Fakultäten wie ebenso viele umgekehrte Kerzen auf.
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Donald Knuth ist der lebendige Gott der Informatik: »Wenn er während der Konferenz den Saal betreten würde«, sagte einmal ein Freund, »würden alle Konferenzteilnehmer vor ihm auf die Knie fallen.«
Als Professor an der Stanford University ging Knuth vorzeitig in Pension und hat seine E-Mail abgeschaltet, um sich voll und ganz dem Abschluss seines Hauptwerks Die Kunst des Programmierens zu widmen, das vor fünfzig Jahren begonnen wurde, wobei die schon erschienenen Bände das Thema revolutioniert haben.
Donald Knuth
Als er diese Wunderwerke veröffentlichte, fiel Knuth die miserable graphische Qualität der mathematischen Formeln auf, wie sie von der handelsüblichen Software wiedergegeben wurden; er schwor sich, dieses Übel dauerhaft zu heilen. Es genügte ihm nicht, den Editor oder die Zeichensätze zu ändern, sondern er beschloss, den ganzen Prozess von Grund auf zu überdenken. 1989 veröffentlichte er die erste stabile Version der Software TEX, die heute Standard geworden ist und von allen Mathematikern zur Abfassung und zum Austausch ihrer Arbeiten verwendet wird.
Diese neue Schicht von Universalität kam voll zur Geltung, als der Austausch unter Mathematikern zu Beginn des 21. Jahrhunderts massiv elektronisch wurde.
Knuths Sprache und ihre Abkömmlinge sind freie Programme, deren Code allen zugänglich ist. Die Mathematiker tauschen nur die Quelldatei aus, eine Textdatei, die ausschließlich aus ASCII-Zeichen besteht, die von allen Computern auf der ganzen Welt erkannt wird. Diese Datei enthält in einer nüchternen Sprache alle Anweisungen, die notwendig sind, um die Texte und Formeln bis in die kleinsten Einzelheiten zu rekonstruieren.
Dank dieses Programms ist Knuth wahrscheinlich diejenige lebende Person, die den Alltag der Mathematiker am meisten verändert hat.
Knuth hat nicht aufgehört, sein Erzeugnis zu verbessern und hat ihm Versionsnummern zugeordnet, die Näherungswerte von π sind und desto genauer werden, je vollendeter das Programm wird: Nach der Version 3.14 kam die Version 3.141, dann 3.1415 usw. Die gegenwärtige Version ist 3.1415926; Knuths Testament zufolge wird sie an seinem Todestag in π übergehen und auf diese Weise TEX auf ewig erstarren lassen.
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Formel von Faà di Bruno (Arbogast 1800 , Faà di Bruno 1855 )
… Was in TEX folgendermaßen geschrieben wird:
\[(f\circ H)^{(n)} = \sum_{\sum_{j=1}^n j\,m_j = n}
\frac{n!}{m_1!\ldots m_n!}\,
\bigl(f^{(m_1 + \ldots + m_n)}\circ H\bigr) \,
\prod_{j=1}^n\left(\frac{H^{(j)}}{j!}\right)^{m_j}\]
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Date: Thu, 25 Dec 2008 12:27:14 +0100 (MET)
From: Cedric Villani
To: Clement Mouhot
Subject: Re: Teil 1 und 2, fast fertig
Und jetzt hast du zu Weihnachten auch Anspruch auf Teil II. Das sieht sehr gut aus, endlich läuft alles im Prinzip
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