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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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ausdehnen, in Besitz nehmen. Etwas nicht in Besitz Genommenes war ihnen unerträglich. Und darum zogen sie gen Norden in die reizlosen, rauen Landschaften. Ein halbes Jahrtausend später zog es die Germanen, die Tacitus zufolge doch nichts mehr hassten als Hitze und Durst, in den heißen, wasserarmen Süden, nach Rom wollten sie, nur nach Rom, sie wollten die Wärme und den Wein und die Weiber, und die Spiele und die weichen Betten in Ravenna, sie wollten die Waffen und die Kriegsschiffe, und die Stoffe aus Afrika und die Gewürze aus Indien und die Elefanten aus Afrika und den Reis und das Weißbrot und die Pfirsiche und die Oliven, und die Weiber natürlich, diese schlanken, hochnäsigen, lauten, eleganten Römerinnen mit ihren endlos langen Beinen und ihrem Geziere, das, wenn die Damen den Zeitpunkt für gekommen erachteten, umsprang in ordinärste Beweglichkeit im Lavendelbett oder im Thermenwasser oder wo auch immer, die syrischen Sklavinnen, die schweinischen Prinzessinnen aus Palästina, die kundigen Schweigerinnen aus Afrika wollten sie, die glutvollen Dunklen Hispaniens und die blassen Alabasterhäutigen aus der Ostresidenz Byzanz. Endlich etwas anderes als die robusten, blondbezopften Bauerntrampel aus den nordischen Wäldern wollten sie.
    Die Internistin nahm die Saugnäpfe wieder ab, schmierte Gel an meinen Hals. Dann führte sie etwas, das aussah wie ein kurzer, ein wenig zu stumpfköpfiger Dildo, mit sanftem Druck über die alte faltige Haut an meinem Hals, gut, murmelte sie nach einer Weile, fragte, ob ich es sehen wolle. Sie rückte einen Bildschirm in mein Blickfeld, ich sah nur weißliches Pixelgeflimmer auf dunkelgrauem Grund. Diese Linien, sagte sie, sind Ihre Adern, mit dem Echolot kann man sehen, ob sich bereits Ablagerungen angelegt haben. Sehen Sie, hier ist der Hauch einer Verdickung zu sehen, aber das ist noch nicht bedenklich, das ist normal bei einem Mann Ihres – Ihrer Befindlichkeit. Und abgesehen von dieser kaum wahrnehmbaren Verdickung ist alles fein sauber in Ihren Blutbahnen. Sie wischte das Gel von Brust und Hals, ihr Gesicht kam mir dabei sehr nahe. Ich konnte nicht aufhören, sie anzustarren, ich fühlte, wie sich etwas regte.
    Es ist gut, sagte ich mir vor, es darf sich was tun da unten im Falle übergroßer Nähe zu einer schönen Frau, die vielleicht zehn Jahre jünger ist. Mit der könnte ich wahrscheinlich schlafen, dachte ich, weil ihre Bewegungen, ihre Stimme, der Schwung ihrer Hüften so sind, wie ich es mag, eine Mischung aus kühler arroganter Überheblichkeit und weicher fröhlicher Bauernmädchenwärme. Mit einer Frau von der kühlen Erotik der hochgebildeten Hypatia von Alexandria könnte ich schlafen, dachte ich, und auch mit einer Frau von der prallen sinnlichen Wildheit und Kraft der Kriegerfürstin und Sängerin Yhra. Mit einer Frau von luchshafter Gehetztheit, die beinahe noch ein Kind war, würde ich es nicht können.
    Die Internistin lächelte, und dabei ging etwas Glühendes von ihr aus, die kalte Glut von Frauen, die wissen, dass sie Männern überlegen sind. Sie sah mich an, während sie die rasierten Stellen auf meiner Brust trocken rieb, in ihrem Blick glaubte ich etwas wie Mitleid zu entdecken, gleich würde sie Hypatias Psalmen anstimmen. Jeder, der eine Geburt hat, wird sterben. Jeder, der einen Anfang hat, hat ein Ende. Jeder, der einen Namen hat, ist das Geschöpf eines anderen. Jeder, der eine menschliche Gestalt hat, ist das Geschöpf eines anderen.
    Eine große Gestalt mit wild blickenden blauen Augen war sie, und mit rötlichem Haar, wie die Germanen des Tacitus, der den Vorzug der großen, kräftigen Gestalt ein bisschen überheblich herabsetzt mit der Nebenbemerkung, dass dies Großgewachsensein nur zum Angriff tauge. Ob sie eine war, die große Ausdauer für Strapazen und Mühen aufbringen konnte, ob sie durch Klima und Bodenbeschaffenheit abgehärtet war gegen Kälte und Hunger, wusste ich nicht, fragte ich sie natürlich nicht. Sie bat mich in den Sattel des Ergometers, legte mir verschiedene Klemmen und Fühler an, ein Nadelchen fürs Ohr und eine Blutdruckmessmanschette. Ich trat in die Pedale, viel zu schnell, ich solle langsam beginnen und meinen Rhythmus finden, das Gerät würde stufenweise den Widerstand erhöhen, trotzdem sollte ich die vom Tachometer angezeigte Geschwindigkeit möglichst konstant halten. Das ist leicht, sagte ich. Wird sich schon ändern, sagte sie. Ich erzählte ihr, dass ich früher mit dem Mountainbike in den

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