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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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vor dem Auftritt in einer traurigen Halle irgendwo im Burgenland, schon dermaßen zu saufen begonnen, dass sie nicht mehr fähig gewesen waren, ein einziges Lied zustande zu bringen. Die Pfiffe des Publikums waren lauter und lauter geworden, gleichsam als Bestrafung hatte die Band dann begonnen, die Instrumente und die Verstärker zu zerlegen.
    Versteht ihr, sagte der Veranstaltungsmanager, die könnten heute nicht spielen, selbst wenn sie wollten. Instrumente und Anlage sind nur geliehen, die Firma hat sich geweigert, dieser Truppe Ersatz zur Verfügung zu stellen. Irgendwie schien er Mitleid mit uns Landpomeranzen aus Oberösterreich zu haben, Benzingeld könne er uns nicht ersetzen, sagte er, aber er habe was für uns. Und ging zu seinem Auto und gab jedem von uns aus dem Kofferraum einen Stapel von Plakaten für die Tournee von Gipsy Love, der Band von Charly Ratzer mit dem jungen Harry Stojka, die demnächst nach St. Pölten kommen werde. Wir fuhren von der verschlossenen Konzerthalle weg und hinaus auf die Autobahn Richtung Linz. Wir hielten gleich wieder an der Raststätte St. Pölten, tranken ein paar Bier und waren getröstet.
    Nicht wegen der Charly-Ratzer-Plakate. Sondern weil uns allmählich klar wurde, dass wir wahrscheinlich gerade Teil eines Rockkonzerts in seiner reinen, klaren Essenz gewesen waren. Eine Band, die aufgebrochen war, um die Welt besser zu machen, die mit Gratiskonzerten die klassenlose Gesellschaft herbeilärmen wollte, war offensichtlich hineingeraten in den vom Klassenfeind eingerichteten und dominierten Betrieb, sie spielte, organisiert von aalglatten Managern, für Geld in schäbigen, grindigen Hallen und Sälen in einer der langweiligsten Provinzen, die man sich in Westeuropa vorstellen kann, in der österreichischen nämlich. Die einzige Möglichkeit, sich dabei Authentizität zu bewahren und Würde, war eben, Alkohol und was sonst noch immer dem Körper zuzuführen bis zur Besinnungslosigkeit. Die einzige Alternative für eine glaubwürdige Rockband war, die von den Profiteuren des Betriebs gegen gutes Geld entliehenen Produktionsmittel zu zerstören. Edgar Broughton und die Seinen hatten das Einzige getan, was man tun konnte. Und wir waren dabei gewesen! Wir waren die Besucher eines Konzerts gewesen, das nicht stattgefunden hatte, und das war sowohl für die Band als auch für das Publikum das Beste und Richtigste gewesen, das passieren konnte. Weil es die Verhältnisse zwischen Musikern und Zuhörern am radikalsten so darstellt, wie sie sein müssen.
    Setsubun findet Anfang Februar statt, sagte Alida. Der Vater verkleidet sich als böser Dämon, Frau und Kinder bewerfen ihn mit Sojabohnen. Das vertreibt den Winter. Hört sich an wie Lichtmess und wie der Perchtenlauf-Mummenschanz in den Alpen, sagte ich, konnte es ihr nicht richtig erklären, dazu war mein Englisch zu mangelhaft. Setsubun ist der letzte Tag der großen Kälte, sagte sie, fein, sagte ich, das könnten sie brauchen. Drüben. Wo ich herkomme. Einen letzten Tag für diese große Kälte. Ein Mittel, die Gespenster zu vertreiben. Das Wichtigste ist, dass die Zeremonie Glück für das neue Jahr bringt, sagte sie. Man muss so viele Bohnen dem Teufel nachschmeißen, wie man Lebensjahre zählt, plus einer mehr, diese eine bringt dann Glück im neuen Jahr. Und immer rufen: Oni Wa Soto!
    Die Gespenster haben sich nicht verjagen lassen aus dem Dorf, habe mein Vater immer gesagt, sagte meine Mutter, wenn ihn die alten Nazi verspottet hatten, weil er glaubte, mit Kreisky und seinen Sozis würden bessere Zeiten kommen. Er hat sich die Verhandlung angeschaut in Linz, sagte sie, die wegen der Prügeleien im Hof des Dorfwirtshauses. Die Opfer hatten gleich nach Kriegsende Anzeige erstattet. Nicht die illegalen Nazis, die beim ersten Mal von den Hahnenschwänzlern verdroschen worden waren, die Hahnenschwänzler hatten die Nazis vor Gericht gebracht wegen der zweiten Verprügelei, jener nach dem Anschluss.
    Der Vater hat die ganze Zeit nur bitter gelacht im Verhandlungssaal, erzählte meine Mutter. Weil keiner mehr sich an irgendetwas erinnern konnte. Dem großen Holzhändler aus dem Nachbardorf, den die Nazis am heftigsten geschlagen und am schwersten verletzt hatten, wollte nichts mehr einfallen zu diesem Vorfall von vor sieben Jahren. Selbst der Richter musste lachen, wahrscheinlich ebenfalls bitter. Na, Herr Holzhändler, wie viel Holz haben Sie denn schon wieder gehandelt mit dem Herrn Großbauern, dass Sie sich an nichts mehr

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