Das leere Land
hatte und das von den Jahren in der Erde glatt und fahl geworden war, als hätte es jemand bearbeitet vor Jahrtausenden, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber. Ich gab ihm recht.
Nach zehn Minuten erschienen die ersten Schweißperlen auf meiner Stirn, und ich fühlte es feucht werden unter meinem Doppelkinn, fünf Minuten später war alles nass, mein nackter Oberkörper, die Haare, die Unterhose durchgeschwitzt, auf der hellen Cordhose blühten kleine Schweißflecken auf, vergrößerten sich rasch. Die schöne, kraftvolle Internistin, die ich mir zurechtfantasiert hatte zur glutvollen Yhra und zur kühlen Hypatia zugleich, verwandelte sich in eine schützende Mutter, sie schüttelte besorgt den Kopf und brach die Messung ab. Ich hatte nur siebzig Prozent der Leistung geschafft, die ein Mann meines Alters und Gewichts erbringen müsste, aber sie wolle es nicht darauf ankommen lassen. Der Blutdruck steige beängstigend, die Entwicklung der Blutzuckerwerte unter Anstrengung sei dramatisch, und allein der optische Eindruck lasse sie ein Kollabieren befürchten.
Während ich mit leichtem Ekel Unterhemd und Hemd über den verschwitzten Leib zog, ging sie hinaus. Ich solle draußen warten auf Doktor Bodinger, sie werde ihn informieren. Und auf Wiedersehen, falls wir uns nicht mehr sehen, der nächste Patient wartet schon. Bodinger stand bereits an der Rezeption, als ich in das Wartezimmer kam. Sieht schlecht aus, sagte er. Metabolisches Syndrom in Reinkultur. Blutdruck, Zucker, Cholesterin, null Fitness. Nur eines ist positiv. Die Arterien sind noch bestens in Schuss. Da ist noch was zu machen. Das kannst du alles noch in den Griff bekommen. Er fragte, wie lange ich noch in Österreich sein werde, zwei, drei Wochen, sagte ich. Lass dir von der Ordinationshilfe einen Termin geben. Es muss ausführlichst besprochen werden. Musst einiges ändern.
Was ist mit Wiehern, sagte ich.
Er grinste und verschwand in einem Praxisraum.
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Was dieses Dorf nötig hätte, und dieses Land, ist eine Setsubun-Zeremonie. Alida im schönen Marathon hat mir davon erzählt, Alida das Inselkind, die letzte Frau, mit der ich Geschlechtliches getrieben habe, desk clerk im Touristenbüro. Die beste Zeit in meinem Reisebüroleben war die in Japan, hatte sie gesagt, und ich war mit meinen Kitschbildern aus Fernsehen und Geo-Heften gekommen, Fujiyama und Kirschblütenfrühling. Die Japaner nennen mich Inselkind, sagte sie, irgendwie kann man die Silben meines Namens offenbar lesen wie die japanischen Wörter für Insel und Kind, und wenn ich ihnen erzählte, dass ich an Nordamerikas Großen Seen lebe, war es für sie eine Selbstverständlichkeit. Als ich zu versagen drohte in der ersten Liebesnacht, hatte sie gekichert und ein paar von den Schokolinsen aus der Schale am Nachtkästchen genommen und gegen meinen Unterleib geworfen und ein paar Mal Oni Wa Soto gerufen, Oni Wa Soto, Oni Wa Soto! Raus, Teufel, raus!
Und ich hörte da in dieser kanadischen Mädchenkleinwohnung, die ein wenig Lächerlichkeit ausdunstete, weil bewohnt von einer vierzigjährigen sehr erwachsenen Frau, auf einmal wieder Edgar Broughton sein Out Demons Out heulen, Edgar Broughton, Held meiner Teenagerjahre wegen der Haltung, links natürlich, wegen der Parolen, wegen der aus politischer Überzeugung gratis gegebenen Konzerte, wegen American Boy Soldier , der gleichzeitig herzerweichenden und sarkastischen Ballade zum Vietnamkrieg, und wegen des nackten Mannes, in einem Schlachthof-Kühlraum aufgehängt zwischen Rinderhälften auf dem Cover seines dritten Albums. Und wegen der Eröffnungsnummer dieses Albums, Evening Over Rooftops , die klein und simpel beginnt, dann aber anschwillt und anschwillt und sich emporschraubt zu den höchsten letzten Dingen, wie der Vogelschwarm, den der sehr offenkundig zugedröhnte Icherzähler im Song beschreibt. Einmal habe ich beinahe ein Live-Konzert gesehen, in St. Pölten, damals verlangte die Band bereits Eintritt, und uns Fans kamen erste Zweifel an dem Klassenlosigkeitsgetue. Wir waren zu fünft in einem klapprigen Ford Cortina Richtung Osten gefahren. Vor dem Saal herrschte Aufruhr. Es gibt heute kein Konzert, wiederholte einer vom Veranstaltungsmanagement wieder und wieder, die Band kann nicht kommen, kein Konzert. Nur langsam gingen die Leute weg. Wir blieben als Letzte. Wer uns jetzt die Benzinkosten ersetzen würde, fragten wir. Der Veranstaltungsmanager begann zu schimpfen auf die Arschlöcher von der Band. Sie hatten am Vorabend,
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